PopCo
sein?» Er wedelt mit seiner Karte, ein kleiner Windstoß erfasst sie und weht sie ihm fast
aus der Hand.
«Unsere Karte.»
«Da stehen aber keine Ortsnamen drauf.»
«Ich weiß. Offenbar handelt es sich um ein Experiment von James.»
«Ach so», sagt Ben, als würde das alles erklären.
«Wer ist denn dieser James?», frage ich ihn. «Was macht er sonst so?»
«James ist Psychologe. Und eigentlich weiß keiner so genau, was er macht. Bei uns im Büro gibt es einen kleinen Think-Tank,
der sich mit Spieltheorien und Pädagogik und solchem Kram beschäftigt. James leitet diese Gruppe. Aber sie treffen sich nur
einmal pro Woche. Ich glaube, ursprünglich wurdeer eingestellt, um an verschiedenen pädagogischen Projekten mitzuarbeiten, aber soweit ich das mitkriege, hängt er die meiste
Zeit mit Kieran und den anderen vom Forschungsbereich Virtuelle Welten herum. Wir haben in Reading eine etwas seltsame Struktur,
nach den Grundprinzipien wechselnde Schreibtische und papierloses Büro. Mit dem Ergebnis, dass niemand einen festen Platz
hat und keiner so recht weiß, wer was macht und wer mit wem zu tun hat.»
«Und was ist mit ihr?» Ich muss immer wieder zu Violet hinüberschauen. Sie fasziniert mich ungeheuer, in allem, was sie tut
– wie sie sich jetzt beispielsweise die blassen Lippen nachzieht. Warum bloß?
Ben lacht. «Wer, Violet? Hast du sie noch gar nicht kennengelernt?»
«Ich habe sie nur in den Workshops gesehen. Irgendwie bin ich davon ausgegangen, dass sie was mit Plüschtieren oder Puppen
zu tun hat.»
«Violet ist promovierte Mathematikerin», sagt er.
«Ach du Schande!»
«Bei ihr weiß ich auch nicht so genau, was sie macht», fährt Ben fort. «Aber dieses Grüppchen da – die sind so etwas wie die
PopCo-Elite. Mac und Georges schauen ständig bei ihnen vorbei. Manchmal wird dort wochenlang gar nichts produziert, und wenn
Mac und Georges dann kommen, sind sie mitten in einer Séance. Man sollte meinen, sie kriegen Riesenärger, aber nein, sie können
absolut nichts falsch machen. Was glaubst du übrigens, mit wem Violet zusammen ist?»
«Hm … Mit Frank?», vermute ich. Er ist groß und tätowiert, und irgendwie scheinen sie mir von der Ästhetik her ganz gut zusammenzupassen.
«Ja. Mit Frank. Und mit James.»
«Mit allen beiden?»
«Jep.»
«Und sie wissen voneinander?»
«Jep.»
«Mannomann!»
Ben grinst. «Und Kieran ist jetzt offenbar hinter Grace her …»
Ich schaue zu den beiden hinüber, die in ein angeregtes Gespräch vertieft sind. «Ja, ich dachte mir schon, dass da was läuft»,
sage ich.
«Richard kann sich wohl schon mal von ihr verabschieden.»
«Wie meinst du das denn? Waren die …»
Ben schüttelt den Kopf. «Nein, nein. Aber wenn das alles hier vorbei ist, wechselt sie mit Sicherheit zu Kierans Team, darauf
würde ich sonst was verwetten. Sie ist genau sein Typ. Studierte Ingenieurin, Gothic-Freak und Robotikexpertin. Und demnächst
wird sie wahrscheinlich auch noch PopCo-Meisterin im Go.»
«Die klassische Vorzeigefreundin also.»
«Absolut.»
«Aber kann man denn einfach so die Abteilung wechseln?»
«Nur, wenn man zu Kieran geht. Er kriegt jeden, den er haben will – und auch sonst alles. Wahrscheinlich würde er auch Prinz
William in sein Team bekommen, wenn er das wollte.»
Drüben an der Mauer räuspert James sich hörbar. Irgendwie kann ich es nicht vermeiden, ihn mir zusammen mit Frank und Violet
im Bett vorzustellen. Dann denke ich daran, wie Georges zu ihnen ins Büro kommt, um sein «Eliteteam» zu besuchen. Ob er wohl
auch mit Violet ins Bett will? Ich an seiner Stelle würde das wollen. Diese verdammten Halsschmerzen. Jetzt angele ich mir
doch eine Halstablette aus der Tasche. Langfristig nützt das zwar nichts, aber es wird die Schmerzen wenigstens für fünf Minuten
lindern. Das Aconitum scheint wirklich nicht zu wirken. Wahrscheinlich brauche ich ein anderes Mittel, aber ich fühle mich
viel zu schlecht, um darübernachzudenken, welches das sein könnte. Und ich habe ja auch meine Bücher nicht dabei.
«Wenn ihr auf eure Karten schaut», sagt James, «dann seht ihr, dass sie nur wenige Orientierungspunkte enthalten. Den Meavy
zum Beispiel, den Fluss, an dessen Ufer wir heute hoffentlich dem Maishasen begegnen werden. Das Ding, das Frank und Grace
gemeinsam als Katzenarsch oder wahlweise als Steinbruch identifiziert haben, ist ein sogenannter
Tor
, besser gesagt eine
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