PopCo
namens Großtrappe, etwas weiter
westlich befindet sich der Seeadler. Richtung Südosten liegen gleich mehrere Namen dicht beieinander: Iltis, Ziegenmelker
und Turteltaube. An anderen Stellen der Karte entdecke ich die Namen Waldschnepfe, Rabe und Kiebitz. Unten links steht eine
in verschnörkelter Zierschrift verfasste Legende:
Karte des Dartmoors zur Erläuterung der dortigen Faunistik
, daneben eine Kompassrose und die Jahreszahl 1839. Das Ganze erinnert mich an eine Schatzkarte. Ben ist immer noch nicht aufgetaucht. Bis auf Grace und Kieran kenne ich niemanden.
Ich gehe zu Grace hinüber.
«Was soll das eigentlich werden?», frage ich sie.
«Ein parapsychischer Orientierungslauf», antwortet sie grinsend.
«Wie bitte?»
«Ja, verrückt, nicht? Das ist wieder so eine von Kierans durchgeknallten Ideen.» Sie lacht und streicht sich die langen schwarzen
Ponyfransen aus den Augen. «Wir sollen nur mit dieser Karte und einem Kompass den Weg nach … he, Kieran? Wo wollen wir noch gleich hin?»
Kieran unterbricht sein Gespräch mit James und dreht sich zu uns um.
«Gute Frage, Baby. Am besten erzähle ich euch jetzt allen mal, was wir vorhaben», sagt er. «Also. Wir werden heute versuchen,
von unserer jetzigen Position aus, etwa fünf Kilometer östlich des Wespenbussards – den habe ich auf der Karte markiert –
zum Maishasen zu finden, und zwar über den Hühnerhabicht, die Rohrweihe und den Bussard.»
Niila hebt seinen dünnen Arm.
«Und woher sollen wir wissen, dass wir da sind?», fragt er.
«Na, weil wir dann Maishasen sehen, natürlich», sagt Kieran.
«Die Karte ist von 1839», bemerkt Violet. «Die ganzen Viecher sind doch sicher längst ausgestorben. Was zum Geier ist überhaupt
ein Maishase?»
Sie lehnt an der Wand der Sporthalle und zieht einen Flunsch wie ein mürrischer Teenager. Irgendwie finde ich sie anziehend.
Sie erinnert mich an ein Mädchen, das ich als Kind kannte: Tracey aus unserem Dorf. Violet hat sich das blonde Haar zu einem
strengen, hohen Pferdeschwanz gebunden, und sie ist stark geschminkt: dunkel umrandete Augen und fast weiße Lippen in einem
blass mattierten Gesicht. Sie kleidet sich weder nach den allerneuesten Modetrends wie Chi-Chi und ihre Clique noch nach den
allerneuesten Gegentrends wie Esther und ich. Violet trägt die Billigmode, die von ganz normalen Teenagern getragen wird und
nicht von solchen, die Chi-Chi vorschweben und meist unweigerlich Popstars oder internationale Skateboard-Meister sind. Ihr
rosa T-Shirt endet knapp über dem Bund ihrer Hüftjeans, und sie hat ein Bauchnabel-Piercing. James und Frank lachen über ihre Bemerkung,
und ich habe den Eindruck, dass sich alle vier – James, Frank, Violet und Kieran – ziemlich gut kennen.
«Was ist denn das, was so aussieht wie ein Katzenarsch?» Frank deutet auf seine Karte. «Kann man da … na ja … irgendwie reinfallen?»
«Ich glaube, das ist ein Steinbruch», sagt Grace, nachdem sie ihr Blatt etwas eingehender betrachtet hat.
«Alles klar», sagt Kieran. «Dann überlasse ich euch jetzt mal James, eigentlich ist das nämlich sein Experiment.»
Ich überlege, wie ich hier wieder wegkomme. Es klingt ja ganz spannend, aber irgendwie gehöre ich einfach nicht dazu. Kieran
hat seine Clique, und wenn ich die Schwingungen zwischen ihnen richtig deute, ist Grace hier, weil sie inzwischen auch mit
Kieran zu tun hat. Ob sie etwas
miteinander
haben? Es fühlt sich irgendwie so an. Niila und Mitzi bilden eine eigenekleine Einheit. Sie erinnern mich an zierliche Elfen, Geschöpfe, die man eher an einem leicht übersinnlich angehauchten Tag
mitten auf dem Moor vermuten würde als auf einer Forschungswanderung. Und dazwischen ich: einsam, unbeholfen und immer kränker.
James hantiert mit einem Blatt Papier. Ob ich mich einfach davonstehlen soll?
«Was wärst du lieber? Eine Sumpfohreule oder ein kurzhalsiger Regenpfeifer?» Bens Stimme und sein Atem an meinem Ohr.
«Hallo», sage ich. «Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.»
«Ich habe verschlafen», sagt er und lächelt mich an. Wenn Ben lächelt, ist man jedes Mal etwas überrascht, als wäre das eigentlich
ein viel zu leichtfertiger Ausdruck für dieses ernste Gesicht mit den buschigen Brauen. «Also?»
«Äh … eine Sumpfohreule.»
«Hm. Ich auch. Die Sache mit dem kurzen Hals gefällt mir nicht besonders. Und eigentlich weiß ich auch gar nicht, was ein
Regenpfeifer ist. Was soll denn das
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