PopCo
Bergfestung.»
«Wo steckt eigentlich Dan?», zischt Ben mir zu.
Ich zucke die Achseln. «Keine Ahnung.»
«Wollte er nicht auch kommen?»
«Zu mir hat er nichts gesagt.»
James fährt fort. «Wir werden unsere Informationen hauptsächlich aus den uralten Erinnerungen der Menschen und Tiere ziehen,
die hier auf dem Moor gelebt haben und denen wir uns durch Meditation nähern werden, unterstützt von dieser Karte hier und
unserem Kompass. In jedem Fall ist das eine interessante Art, die Gegend ein bisschen kennenzulernen. Ihr werdet auf viele
Gedächtniseindrücke wunderschöner verschwundener Wesen und anderer Moorbewohner stoßen. Wenn ihr glaubt, beim Hühnerhabicht
angekommen zu sein, unserem ersten Ziel, dann bittet ihr den Hühnerhabicht, sich euch zu zeigen. Vielleicht werdet ihr ihn
dann sehen. Falls nicht, seid ihr möglicherweise am falschen Ort. Aber falls ihr ihn seht, macht eine Zeichnung von dem, was
sich euch offenbart. Ich bin nämlich überzeugt, dass einige von uns keinen blassen Schimmer haben, wie so ein Hühnerhabicht
eigentlich aussieht.»
Ein paar Leute lachen.
«Das Problem mit diesen Typen», flüstert Ben mir ins Ohr, «ist, dass man nie genau weiß, wann sie etwas ernst meinen. Das
kann ein ganz ernsthaftes Experiment sein oder aber ein aufwendiger Gag. Gut möglich, dass Kieran eine echte Landkartein der Tasche hat und dazu noch ein Navigationssystem und das eigentliche Experiment darin besteht zu sehen, wie wir auf die
Sache reagieren.»
«Warum ist Chloë denn nicht hier?», frage ich.
«Ach, sie kann solche Sachen nicht ausstehen. Das ist ihr zu spießig.»
Spießig. Das Wort habe ich schon ewig nicht mehr gehört. Und ich hätte es auch gar nicht mit Chloë in Verbindung gebracht,
aber eigentlich kenne ich sie ja nicht besonders gut.
«Was ist denn der Zweck dieses Experiments?», will Mitzi von James wissen.
«Das ist nicht ganz unkompliziert», erklärt James lächelnd. «Einerseits ist es Teil meiner eigenen Forschungen zur Interaktion
des Menschen mit dem Nullpunktenergiefeld. Und andererseits ist es Teil der laufenden Forschungsarbeiten zur Kartographie
virtueller Welten. Also dann. Wollen wir?»
Mitzi wirkt nicht recht zufrieden mit dieser Antwort, scheint das aber auch nicht weiter schlimm zu finden. Gemeinsam gehen
wir den Waldweg entlang, der um das PopCo-Gelände herumführt. Ich ziehe meinen Kompass hervor, und die Schatten der Zweige
legen sich wie Zombie-Finger darauf.
«Zwanzig Grad nördlich», sage ich heiser zu Ben.
«Alles klar mit dir?», fragt er mich.
«Ja. Oder nein. Ich habe ziemliches Halsweh.»
«Oh Scheiße.»
«Ja. Ich hoffe mal, es wird nicht schlimmer.»
«Steck mich bloß nicht an.»
«Ich dachte, du willst all meine Krankheiten haben», sage ich.
Irgendwo in der Nähe des Hühnerhabichts – zumindest schon ein ganzes Stück in die Richtung, in der wir den Hühnerhabicht vermuten
– ist Violet plötzlich neben mir.
«Und?», sagt sie zu mir. «Wer ist die Großmutter?»
«Wie bitte?»
«Deine Großmutter. Die mit der Erdös-Zahl von 2.»
«Elizabeth Butler», sage ich. «Warum?»
«Dachte ich’s mir doch. Ich habe ein paar Sachen von ihr gelesen. Ich bin übrigens Violet.»
«Alice», sage ich. «Komm mir lieber nicht zu nahe. Ich kämpfe gerade mit so einer Halsgeschichte.»
Sie geht trotzdem weiter dicht neben mir, und ich rieche Rose und Vanille. Irgendwie riecht sie pudrig, als hätte sie gar
keine Feuchtigkeit im Körper und könnte jeden Moment zu Staub zerfallen.
«Du hast diese Spionage-Sets entwickelt und die Codeknacker-Sache, stimmt’s?», fragt sie jetzt.
«Ja.»
«Ich arbeite unter anderem mit Rätseln und Codes in der virtuellen Welt. Wahrscheinlich bin ich so eine Art virtuelle Version
von dir.» Sie kichert. «Die Offline- und die Online-Ausgabe.»
«M-hm», mache ich zweifelnd. Ein Weilchen gehen wir schweigend nebeneinanderher, und ich weiß nicht, was ich als Nächstes
sagen soll. Seit wir PopCo Towers hinter uns gelassen haben, hat sich die Landschaft abrupt verändert. Das meine ich ganz
wörtlich. Als wir aus dem Wald kamen, standen wir auf einer Straße. Die PopCo-zugewandte Seite wirkte noch ganz normal: Bäume,
Sträucher, malbuchgrünes Gras. Doch auf der anderen Seite begann eine wildere Landschaft. Nirgends Hecken oder Bäume, das
Gras wie eine Art dicker, gelblicher Teppich. Dieses fremde Gras federt unter den Füßen, und überall wuchern
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