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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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     kann. Da müssen wir dranbleiben. Und außerdem ist es schon sehr cool. Als wäre man Gott. Die Programmiererei kann ziemlich
     öde sein, aber das machen die Jungs. Ich bin für die Muster zuständig. Deswegen habe ich mich auch wieder mit den grundlegenden
     Fibonacci-Sachen beschäftigt. Ich würde gern ein Programm schreiben, über das sich die Natur in einer virtuellen Welt selbst
     erschaffen kann, so wie unsere. Dafür muss man dieselben Regeln einbauen, die unser Schöpfer verwendet haben muss. Die Fibonacci-Sequenz
     ist super. Die beste Erklärung dafür, dass Blumen wachsen und dabei rund werden. Oder hast du schon mal eine quadratische
     Blume gesehen? Oder eine natürlich entstandene gerade Linie? Ist es nicht irre, dass es für so was mathematische Gesetze gibt;
     dass die Natur irgendwie begreift, wie effizient es ist, Dinge als Kreise oder Spiralen anzuordnen?»
    Das Gras wird höher, als wir den Hügel mit seiner Ruine passieren und auf einen weiteren zuhalten. Kurz darauf finden wir
     einen kleinen Bach, und alle fangen an, sich mit Wasser zubespritzen. Es wird einem ja auch heiß vom vielen Laufen. Mir ist allerdings gar nicht heiß, ich fröstele eher. Während die
     anderen am Bachufer herumtoben, bleiben Violet und ich etwas abseits stehen, wo die Überreste alter Schienen verlaufen. Ich
     hätte nicht gedacht, dass auf einem Moor auch Züge verkehren. Die Gleise sind aber völlig zugewuchert: Das Gras nimmt alles
     in Besitz, was der Mensch zurücklässt. Violet zieht sich die Lippen nach.
    «Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer richtigen und einer virtuellen Welt?», frage ich sie stirnrunzelnd.
    «Gute Frage. Aber stell sie bloß nicht Kieran, sonst hört er die nächsten paar Stunden nicht mehr auf zu reden. Er glaubt
     nämlich, dass wir wirklich Götter sind. Seiner Ansicht nach gibt es nur deshalb so viele griechische oder indische Götter,
     weil sie uns ganz genau so erschaffen haben, wie wir jetzt Efila erschaffen – so heißt unsere virtuelle Welt – und für so
     was braucht man eben ein Team. Die Vorstellung von Gott als Einzelwesen hält er für Bullshit. Aber wenn man mal drüber nachdenkt,
     liegt der Unterschied zwischen einer echten und einer virtuellen Welt doch auf der Hand.»
    Die anderen haben sich wieder in Bewegung gesetzt, und wir folgen ihnen. «Ja?», frage ich.
    «Eine virtuelle Welt muss immer eine Dimension weniger haben als die ‹echte›, in der sie erschaffen wird. Wir sind dreidimensionale
     Wesen, können aber selbst keine sonderlich komplexen dreidimensionalen Dinge erschaffen. Zumindest keine Abbilder des Lebens.»
    «Ich weiß, was du meinst», sage ich. «Mit wem habe ich da neulich drüber gesprochen?   … Ach ja. Grace. Sie hat mir erklärt, dass genau das die Entwicklung von Robotern so schwierig macht.»
    «Eben. Nimm zum Beispiel das Bein eines Hasen. Das ist so irre kompliziert, dass man es unmöglich nachbauen kann.Wir können ja auch keine Handprothesen bauen, die auch nur ansatzweise so überzeugend wirken wie eine echte Hand. Und über
     den menschlichen Fuß brauchen wir gar nicht erst nachzudenken. Aber wenn du dir die neuesten Videospiele und Online-Welten
     anschaust, sind wir inzwischen ziemlich gut darin, zweidimensionale Welten zu entwerfen, die manchmal sogar besser funktionieren
     als unsere echte.»
    «Besser?» Ich muss an die fragmentarischen, geometrischen Landschaften meines letzten Videospiels denken und vergleiche sie
     automatisch mit meiner jetzigen Umgebung. Die Landschaft hier ist lebendig und aufregend. Die Videowelt bestand nur aus Pixeln.
    «Nicht in jeder Hinsicht natürlich. Aber in einer zweidimensionalen Welt gibt es beispielsweise keinen Schmerz. Man ist unsterblich.
     Es herrscht Gerechtigkeit. Eigentlich ein Ort, an dem man ganz gern ein bisschen Zeit verbringt.»
    Mein Hirn fängt wieder an zu schmerzen. Muss uns dann also ein vierdimensionales Wesen erschaffen haben? Und gibt es zweidimensionales
     «Leben»? Ich weiß noch, wie meine Großmutter mir erklärt hat, das wirklich Komplizierte an der Riemann’schen Vermutung sei
     die Tatsache, dass alle Berechnungen von vier Dimensionen ausgehen. Wenn man imaginäre Zahlen durch die Zeta-Funktion laufen
     lässt, erhält man Punkte, die sich nur mit vierdimensionalen Graphen darstellen lassen. Kurz mache ich den Versuch, mir vorzustellen,
     wie eines der Wesen aus Violets zweidimensionaler Welt versucht, hinter die Geheimnisse seines

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