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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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büschelweise
     Wildblumen. Sie sehen distelig und dornig aus, ich könnte keine davon beim Namen nennen. Überhaupt kann ich mit voller Überzeugung
     behaupten, dass ich an einem solchen Ort noch nie gewesenbin. Ich habe vorher noch nie ein echtes Moor gesehen (auf der Hinfahrt letzte Woche war es viel zu neblig), doch wenn man
     mir ein Bild davon gezeigt hätte, hätte ich gleich gewusst, dass es eines sein muss. Weiß der Himmel, warum.
    Gerade sind wir an einer sumpfigen Stelle vorbeigekommen, die wir auf meinen Protest hin nicht überquert haben. Auch wenn
     ich mich mit Sümpfen und Mooren nicht auskenne, habe ich doch immerhin den
Hund von Baskerville
gelesen. Wir klettern einen weiteren Abhang hinunter und finden uns neben einer alten Steinmauer wieder. Überall weiden Dartmoor-Ponys
     und Schafe. An der Mauer wachsen Blumen: rosafarbene Gänseblümchen und eine blaue Pflanze, die durchaus Eisenhut sein könnte.
     Die Mauer wirkt wie der Überrest einer alten Befestigungsanlage. Auf der anderen Seite sieht man einen moosbewachsenen Hügel
     mit einer Steinruine darauf.
    «Seit ich die Fibonacci-Sequenz kenne, schaue ich Blumen irgendwie ganz anders an», sagt Violet und streift im Vorbeigehen
     die rosa Gänseblümchen an der Mauer mit ihrer schmalen, weißen Hand. «Keine Ahnung, was besser ist: einfach nur etwas Schönes
     zu sehen, ohne Erklärung, oder ganz genau zu wissen, wie die Samenkapseln aus welchem Grund angeordnet sind.»
    «Ich weiß gar nicht mehr genau, was die Fibonacci-Sequenz ist.» Ich bleibe stehen, um einen Blick auf die Karte zu werfen
     und meinen Kompass zu konsultieren.
    «Hast du denn nicht Mathematik studiert?»
    «Nein. Englisch.»
    «Oh.» Sie sieht enttäuscht aus. «Ich dachte, du bist auch ein Mathemädchen.»
    «Nein, eigentlich nicht. Ich treibe nur gelegentlich etwas Freizeitmathe.» Ich lege selbstironisch die Stirn in Falten. «Ist
     die Fibonacci-Sequenz die mit 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13 und so weiter?» Aus welchem Teil meines vollgestopften Hirns ist das dennjetzt gekommen? Es muss eine weitere Voynich-Erinnerung sein, so viel steht fest. Was habe ich wohl noch alles durch dieses
     verflixte Manuskript gelernt? Nicht genug offenbar, denn ich weiß ja immer noch nicht, was drinsteht.
    Violet strahlt übers ganze Gesicht. «Ja. Genau.»
    «Und jede Zahl ist die Summe ihrer beiden Vorgänger?»
    «Stimmt. Und die Wachstumsrate?»
    Ich lächele. «Da muss ich passen.»
    «Phi, die goldene Zahl. Oder zumindest so nah dran, wie man ihr kommen kann. 1,618   … plus so viele Dezimalstellen, wie man noch anhängen mag.»
    Phi, die goldene Zahl. Natürlich. Jetzt erinnere ich mich wieder.
    «Die Anzahl der Blütenblätter einer Blume entspricht den Fibonacci-Zahlen», sage ich. «So ist das doch, oder?»
    «Ja, darauf läuft es hinaus. Dasselbe gilt für die Zahl der Samen und die Anordnung der Samenstände. Die goldene Zahl bestimmt
     die meisten natürlichen Muster.»
    Sie streicht noch einmal über die Blüten, dann gehen wir weiter.
    «Wenn man den Code kennt, kann man sich sein eigenes Universum erschaffen», sagt Violet. «Oder es zumindest versuchen. Spielst
     du gern Videospiele?»
    «Ja.» Ich nicke.
    «Bist du auch online?»
    «Wie meinst du das?»
    «Bei irgendeiner virtuellen Welt?»
    «Ach so. Nein, noch nicht.»
    Noch nicht
. Ich weiß selbst nicht, warum ich das gesagt habe. Vor einiger Zeit habe ich mit Dan über virtuelle Welten diskutiert, weil
     er sich gerade sehr für die Graphik von
Dungeons and Dragons
interessierte. Ich hatte damals große Angst davor, abhängig zu werden, und das hat sich nicht geändert. Ichbin mir sicher, dass es mir in einer solchen Welt viel zu gut gefallen würde und ich sie irgendwann nicht mehr verlassen wollte.
     Dan meinte, er hätte eher Angst, dass sie seinen Erwartungen nicht entspricht. Als ich jetzt daran denke, muss ich mir ein
     Lächeln verkneifen. Seit ich von der Welt weiß, die er erschaffen würde, weiß ich auch, was er damit gemeint hat.
    «Am besten wartest du, bis unsere fertig ist, und probierst dann die aus», sagt Violet.
    «Eure? Ich wusste gar nicht, dass ihr tatsächlich eine virtuelle Welt entwickelt. Irgendwer hat mir erzählt, ihr würdet Produkte
     recherchieren, die in virtuellen Welten verkauft werden können, aber mir war nicht klar, dass ihr selber eine baut   … Wow!»
    «Doch. Neben Pornoseiten und eBay gehören virtuelle Welten zu den wenigen Online-Branchen, mit denen man richtig Geld

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