PopCo
Anschließend multipliziert man das alles. In unserem Beispiel bekäme man das
Ergebnis von 2 6 ⅹ 3 3 ⅹ 5 6 ⅹ 7 5 ⅹ 11 7 , also 8 843 063 840 920 000 000. Eine Riesenzahl! Sie passt gar nicht mehr richtig auf die Anzeige meines Taschenrechners.
Jede zusammengesetzte Zahl ist das einzigartige Produkt ihrer jeweiligen Primfaktoren. 3 ⅹ 7 ergibt ausschließlich 21 und
nie irgendeine andere Zahl. Und so ist das auch mit der Riesenzahl,die wir eben erstellt haben. Sie ist einzig und allein das Produkt dieser speziellen Kombination von Primzahlen. Und weil
sie eben nur das Produkt dieser ganz speziellen Kombination sein kann, muss man sie nur wieder in ihre Primfaktoren zerlegen,
schon hat man die ursprüngliche Aussage. Aber he! Ich brauche oft schon fast eine Stunde, um eine dreistellige Zahl zu faktorisieren.
Wer setzt sich denn hin und zerlegt eine so große Zahl, um dann zu erfahren, dass 1+1 tatsächlich 2 ist? Am Ende stellt sich
auch heraus, dass dieses Codesystem gar nicht für den praktischen Gebrauch bestimmt ist. Es soll einfach nur beweisen, was
theoretisch möglich wäre. Gödels Lehrsatz besagt, dass theoretisch jede Aussage auf diese Weise verschlüsselt werden kann.
Ob man die daraus entstehenden Berechnungen durchführen kann oder nicht, spielt erst mal keine Rolle; es geht einfach ums
Prinzip. Gödel hat bewiesen, dass eine Situation denkbar wäre, in der die Zahl 128 936 die Aussage «Die Aussage Nummer 128936 lässt sich nicht beweisen» verschlüsselt. Das ist vielleicht nicht sehr wahrscheinlich,
aber trotzdem möglich.
Vor Gödel glaubten viele, man könnte einen eventuellen Fehler in den Grundlagen der Mathematik, irgendeinen Riss oder eine
Lücke, einfach mit ein, zwei neuen Axiomen flicken, vielleicht auch mit einem neuen Beweis oder etwas Derartigem. Gödel hat
gezeigt, dass man das machen kann, so oft man will: Mit seinen codierten Aussagen kann man doch immer eine selbstreferenzielle,
paradoxe Aussage erstellen oder hat zumindest die theoretische Möglichkeit dazu. Natürlich keine Aussagen wie «1+1 =3», aber
doch etwas in Richtung «Wenn 1+1 =2 ist, dann ist 1+1 ≠2».
Damit wäre man dann wieder beim Lügnerparadox. Allein die Tatsache, dass man mit bloßer Mathematik solche Paradoxa erstellen
kann, bei denen etwas gleichzeitig wahr und falsch ist, beweist ja schon, dass die Mathematik in sich … vielleichtnicht gerade inkonsistent, aber doch nicht ganz schlüssig sein muss. Man kriegt Kopfweh, wenn man zu lange über solche Sachen
nachdenkt. Jedenfalls musste der arme Hilbert sich wohl oder übel damit abfinden, dass sich die Mathematik nicht einfach so
hübsch ordentlich aufräumen lässt. Das muss man sich mal vorstellen. Man setzt den Leuten ein Problem vor und hofft, dass
die Lösung einen endlich ruhiger schlafen lässt, und dann passiert genau das Gegenteil. Und erst der arme Gödel! Er war überzeugt,
einen Herzfehler zu haben, wurde paranoid und litt unter der Vorstellung, man wolle ihn vergiften. Seine Frau Adele war die
Einzige, von der er noch Essen annahm. Als sie für längere Zeit ins Krankenhaus musste, ist er allen Ernstes verhungert.
Mein Großvater interessiert sich sehr dafür, wie ich mit dem Buch vorankomme, und ich weiß eigentlich gar nicht, wieso. Ich
selbst will nur wissen, wie es ausgeht. Ist die Mathematik in sich zusammengebrochen? Und falls nicht, warum nicht? Hat sich
Gödel vielleicht geirrt?
Meine Großmutter lächelt, als ich sie eines Abends im Arbeitszimmer danach frage.
«Wenn die Mathematik in sich zusammengebrochen wäre, könnte ich ja wohl nicht auf dem Gebiet arbeiten.»
«Ja, aber …»
«Gödel hat die Mathematik nicht zerstört. Er war nur eine neue Inspiration. Alle haben sich von ihm inspirieren lassen, besonders
Turing. Cantor hat bewiesen, dass man jeder Unendlichkeit noch eine weitere hinzufügen kann. Und Gödel hat gezeigt, dass man
zwar immer neue mathematische Axiome finden, sich aber nie ganz sicher sein kann, ob es möglich ist, ihren Wahrheitsgehalt
zu beweisen. Und Turing seinerseits hat bewiesen, dass es Computerprogramme gibt, die niemals enden. Das ist sehr spannend,
wenn man mal genauer darüber nachdenkt.»
«Programme, die niemals enden?», frage ich.
«Genau.» Meine Großmutter lächelt. «Nehmen wir an, du stellst einem Computer ein richtig schwieriges Problem. Um auf die Lösung
zu kommen, braucht er vielleicht eine
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