PopCo
Resignation, und Holzapfel
reinigt und entgiftet und ist sehr gut gegen Erkältungen und Grippe. Außerdem hilft er Leuten, die unter einem gewissen Ordnungswahn
leiden.»
«Und woher willst du das alles wissen?», frage ich erstaunt. «Ich meine …»
«Na ja, ich glaube, etwas resigniert und teilnahmslos fühlt sich hier jeder», sagt Ben. «Sie sollten Heckenrose ins Trinkwasser
geben.»
«Aber das mit dem Ordnungswahn», sage ich. «Woher weißt du, dass ich …»
«Gestern im Pub hast du erst deinen Teller und deine Suppenschüssel ordentlich zusammengestellt, bevor du zusammengeklappt
bist.»
«Das war doch nur, weil ich den Kopf auf den Tisch legen wollte.»
«Ach so. Dann bist du gar nicht …?»
«Doch, doch. Nein. Ich meine, ich will tatsächlich immer putzen und aufräumen, wenn ich krank bin. Ich konnte mir nur nicht
vorstellen, woher du das weißt, ich … So gut kennen wir uns doch eigentlich noch gar nicht.»
Ben lächelt leicht wehmütig. «Nein.» Er macht den Eindruck, als wollte er noch etwas Wichtiges sagen, steht dann aber auf.
«Ich lasse dir ein Bad ein», sagt er.
«Das brauchst du doch nicht», setze ich an, aber er ist schon nach nebenan verschwunden.
Warum kümmert er sich so um mich? Habe ich das überhaupt verdient? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich ist es ganz schnell
wieder vorbei damit. Wenn ich Glück habe, macht er das ein paar Stunden, dann wird es ihm mit Sicherheit langweilig. Ich werde
also aufpassen müssen, dass ich mich nicht zu sehr daran gewöhne. Wer ist dieser Ben überhaupt? Mir fällt ein, dass ich ihn
gestern noch als Typen abgetan habe, der auf einer Matratze schläft und in abgegriffenen Science-Fiction-Romanen schmökert.
Wie passt «Pfleger Ben» in dieses Bild? Habe ich ihn etwa genauso in eine Schublade gesteckt, wie Kieran es mit mir versucht
hat, als bloße Ansammlung von Kulturgütern? Sollte ich ihm vielleicht ein paar Fragen zu seinen politischen Ansichten stellen?
Ich gähne. Nein, dafür bin ich viel zu müde. Als das Badewasser eingelassen ist, versinke ich darin wie in einer anderen Art
von Schlaf, und danach lese ich einen Roman über Träume, während Ben neben meinem Bett sitzt und irgendwas Philosophisches
liest. Ab und zu schaut er auf und fragt mich, ob ich noch etwas brauche, und ich versichere ihm jedes Mal, dass alles in
Ordnung sei. Trotzdem geht er erst, als es Zeit zum Abendessen wird, und kommt kurz darauf mit einem weiteren Tablett zurück.
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
A m Sonntagabend finde ich nur schlecht Schlaf. Vielleicht habe ich ja am Tag zu viel geschlafen. Mein Kopf kommt nicht zur
Ruhe, und manche Gedanken setzen sich hartnäckig durch. Der hier zum Beispiel: Ich habe immer noch keine Antwort von meinem
unbekannten Brieffreund. Durch die Krankheit fühle ich mich diesen Dingen noch viel weniger gewachsen. Während ich versuche,
mich irgendwie bequemer hinzulegen, stelle ich mir vor zu fliehen und fange prompt fürchterlich an zu husten. In dem Zustand
ist an Flucht nicht zu denken. Ich schaffe es ja kaum ins Bad, ohne zusammenzubrechen. Wenn ich weiß, dass ich nicht fliehen
kann, fühle ich mich gleich viel verwundbarer. Ich würde sehr viel lieber auf der Flucht sterben als beispielsweise im Schlaf
oder in einem anderen machtlosen Zustand. Ich wäre gern jemand, der sich bis zuletzt wehrt. Aber in meiner jetzigen Verfassung
wäre jeder Widerstand zwecklos.
Ich vermisse meine Großeltern. Ich vermisse meine Katze. In einem anderen Leben läge ich jetzt schlafend zu Hause und hätte
unruhige Träume, weil ich am nächsten Tag mein Survivaltrainings-Set präsentieren muss. Was ist realer? Das oder dieses hier?
Wann habe ich eigentlich die Entscheidung getroffen, die mich statt in der anderen in dieser Version meines Lebens landen
ließ? Werde ich morgen eine weitere geheimnisvolle Botschaft erhalten? Wird Ben wiederkommen? Kann ich überhaupt weiter an
den Workshops teilnehmen, oder bin ich zu krank dafür? Gegen drei oder vier Uhr döse ich doch noch ein, obwohl mir eigentlich
viel zu heiß ist und ich zu nervös bin, um richtig einzuschlafen.
Um halb neun bringt Ben mir ein neues Tablett vorbei, stürmt aber gleich wieder davon, um pünktlich zum ersten Seminar zu
kommen. Schläfrig bitte ich ihn, Bescheid zu sagen, dass ich krank bin. Ich habe keine Ahnung, wem genau er Bescheid sagen
soll und wie man darauf reagieren wird. Morgen geht es mir sicher
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