PopCo
wieder gut genug, um teilzunehmen. Ganz bestimmt. Doch heute
bleibt mir nichts anderes übrig, als mit meinem Husten, meinen morbiden Gedanken, ein paar Büchern und vielen Taschentüchern
das Bett zu hüten. Für den Moment ist dieses Bett meine ganze Welt.
Gegen elf klopft es.
Ben
, denke ich, doch als ich öffne, steht – oh Gott! – Georges draußen in einem sichtlich teuren grauen Anzug und einem schwarzen
Polohemd. Mein Zimmer kommt mir plötzlich so klein und schmuddelig vor wie ein Zugabteil, das er betritt, ohne groß darüber
nachzudenken. Und ich fühle mich wie eine Drogensüchtige oder eine Pennerin, die er geflissentlich übersieht.
«Hallo», sagt er.
Ich merke, dass ich rot werde. So was Blödes!
«Tut mir leid», sage ich und muss sofort wieder husten. «Ich bin ein bisschen …»
«Wie ich höre, geht es dir nicht gut.»
Ich klettere zurück ins Bett, damit er so wenig wie möglich von mir zu sehen bekommt. «Ja. Weißt du, ich …»
«Das tut mir wirklich leid», fällt er mir nonchalant ins Wort.
Was wollte ich überhaupt sagen? Ihm mit sanfter, weicher Stimme weismachen, dass ich seine Handynummer verloren habe? Vielleicht
ist es ja gar nicht so verkehrt, dass er mir ins Wort fällt. Man verliert schließlich keine Telefonnummern, die man eigentlich
behalten will, das weiß doch jeder. Sollte Ihnen jemals irgendwer erzählen, er habe Ihre Telefonnummer verloren, dann heißt
das nur, dass sie ihm nicht wichtig genugwar, um sie an einem sicheren Ort aufzubewahren. Falls Sex im Spiel war, heißt es, dass er eine bessere Option zu haben glaubte,
die aber nicht nach Plan gelaufen ist. Wenn jemand einen zum zweiten Mal um die Telefonnummer bittet, degradiert einen das
automatisch zur zweiten Wahl, und außerdem verdient der Jemand einen gar nicht, wenn er sich nicht einmal die Mühe macht,
auf die Nummer achtzugeben. Das wird auch Georges wissen. Er weiß allerdings nicht (und wird es von mir auch nie erfahren),
dass ich seine Handynummer verbrannt habe, aufgrund einer geringfügigen Persönlichkeitsstörung, die sich zu gleichen Teilen
aus Angst und dem ständigen Drang zusammensetzt, etwas anzuzünden. Ich wollte ihn, will ihn vielleicht sogar immer noch, aber
ich weiß auch, dass ich ihn nicht will, ihn gar nicht wollen darf. Was ist eigentlich los in meinem Kopf? Ich fühle mich wirklich
krank.
«Ich fahre zurück nach London», sagt Georges, «und von da aus weiter nach New York. Ich dachte, du willst vielleicht mitkommen.»
«Bitte?» Ich kann nicht glauben, was ich da höre. «Aber ich … Ich kann doch nicht …» Ich bekomme einen weiteren Hustenanfall und greife nach meinem Wasserglas. «Georges …» Schon wieder die sanfte Stimme.
Er passt nicht in dieses Zimmer. Im Anzug sieht er aus wie der Manager, der er ja auch ist. Er ist ein Lehrer, der seine Schülerin
besucht, ein Vater, der bei seiner Tochter vorbeischaut, ein Arzt, der die Visite bei der Patientin absolviert. Jetzt runzelt
er die Stirn.
«Ich kann nicht, Georges …», setze ich an.
«Großer Gott, Alice, nun mach kein solches Drama draus. Wir wissen doch beide, dass es … nun ja, vorbei ist. Ich habe ja auch mitbekommen, dass du jetzt mit Ben zusammen bist, und das ist prima. Glückwunsch! Ihr
passt perfekt zusammen. Ich wollte dir nur anbieten, dich mit zurück nach London zunehmen, als dein Vorgesetzter, der ich ja immer noch bin. Du bist krank und machst ganz den Anschein, als könntest du nicht
weiter an dem Programm hier teilnehmen. Heute Nachmittag kommt ein Firmenwagen, um mich abzuholen. Er kann dich zu Hause absetzen
und mich dann zum Flughafen bringen.»
«Ich würde lieber hierbleiben», sage ich rasch. Das Ganze ist mir schrecklich peinlich. «Ich … habe da eine Idee, die ich gern weiter ausbauen würde.»
«Eine Idee?»
«Ja. Ein Produkt für junge Mädchen. Ich glaube … Ich glaube, es könnte ganz vielversprechend sein.» Das ist natürlich nur ein Vorwand. Gestern Nacht, während ich mich vor
dem unbekannten Briefschreiber fürchtete und meine Katze vermisste, hatte ich zwar tatsächlich den Anflug einer Idee. Aber
ist das der wahre Grund, warum ich hierbleiben will? Ist das nicht eher, weil mir das Zimmer so gut gefällt? Weil ich weiter
von Ben gepflegt werden möchte? Weil ich Angst vor dem Alleinsein habe? Oder weil ich unbedingt wissen will, wer da versucht,
Kontakt mit mir aufzunehmen, und was derjenige von mir
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