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PopCo

PopCo

Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Der Algorithmus hat sowieso leichte Schlagseite, doch immerhin hängt er an der richtigen Stelle fest.
     Ben soll mich um meiner selbst willen begehren, nicht weil er mich mit Geld und Abenteuer verbindet.
    «Aber das ist ja furchtbar!» Das bezieht sich noch auf meinen Vater.
    «Ja.» Ich wechsele das Thema. «Was hast du denn studiert?»
    «Philosophie und Theologie.»
    Das hatte ich nun nicht erwartet. «Wow!»
    «Hm. Das sind nicht gerade Fächer, mit denen man später problemlos einen Job findet. Aber es war schon ziemlich spannend.»
    «Und wie bist du dann in der Videospielabteilung von PopCo gelandet?»
    «Das ist eine lange Geschichte.»
    Ben räumt die Teller zusammen, schenkt uns beiden Gunpowder-Tee nach und reicht mir meinen Becher. Ich atme den rauchigen
     Duft des grünen Getränks ein. Es ist ewig her, dass ich das letzte Mal Gunpowder-Tee getrunken habe. Ich finde ihn köstlich.
    «Zu lang zum Erzählen?»
    «Wahrscheinlich schon. Im Wesentlichen brauchte ich einfach aus verschiedenen Gründen ganz dringend Geld. Programmiert habe
     ich immer schon, seit ich in den Achtzigern meinen ersten BB C-Micro -Computer hatte. Damals habe ich zum Spaß Othello-Spiele und kleine textbasierte Abenteuer programmiert. Und als Kind war
     ich natürlich total fasziniert von Science Fiction und Fantasy. Ich war ein richtiger kleiner Nerd, habe mich mit fremden
     Welten und anderen Bewusstseinsformen beschäftigt, irgendwelche seltsamen astronomischen Programme auf meinem Rechner laufen
     lassen und meine Eltern überredet, mir ein Teleskop zu kaufen. Ich   …» Er lacht. «Wie gesagt, das ist alles eine lange Geschichte. Jedenfalls war ich irgendwann fest entschlossen, Kontakt mit
     anderen Welten aufzunehmen. Aber als ich etwa fünfzehn war, habe ich angefangen, die Dinge anders zu betrachten. Was würde
     das eigentlich heißen, wenn es tatsächlich andere Welten gäbe? Können Computer ein Bewusstsein entwickeln? Und wie definiert
     man ‹Leben›? Als es um die A-Level -Kurse ging, habe ich Religion, Philosophie und Psychologie genommen.Naturwissenschaften haben mich da schon nicht mehr interessiert. Außerdem war da dieses Mädchen   …»
    «Das ist doch immer so», werfe ich ein und spüre ein seltsames Unwohlsein dabei. Bin ich eifersüchtig? Was war das für ein
     Mädchen? Hat er mit ihr Schluss gemacht oder sie mit ihm? Träumt er vielleicht immer noch von ihr?
    «Auf der Uni habe ich dann angefangen, mich für Theoretiker wie Deleuze, Baudrillard und Virilio zu interessieren. Wahrscheinlich
     habe ich es etwa so gemacht wie du: die Wissenschaft hinter mir gelassen, um sie dann als Teil des geisteswissenschaftlichen
     Studiums wieder aufzugreifen.»
    «Ja. Genauso war das bei mir.» Plötzlich ist das alles wieder da. Es ging so schnell. Gerade spielte ich noch Schach und beschäftigte
     mich ständig mit Mathe, und im nächsten Moment war ich plötzlich auf «normale» Mädchendinge gepolt: Lesen, Geschichten schreiben,
     über mein Aussehen nachdenken. «Und wie hast du das gemacht?», frage ich Ben. «Wofür hast du dich interessiert?»
    Er trinkt von seinem Tee. «Künstliche Intelligenzen, Maschinen, Steuerkonsolen   … Das fand ich alles ziemlich toll. In Theologie habe ich mich vor allem mit indischer Religion beschäftigt. Ich glaube, das
     war eine Art Suche nach meinen Wurzeln. Ich bin Halb-Inder, habe diese Seite aber eigentlich immer verdrängt, vor allem in
     der Schule, wo man ja so ziemlich alles dafür tut, bloß nicht irgendwie anders zu sein. Die anderen hielten mich sowieso immer
     für einen Griechen oder einen Italiener, und ich sah keinen Grund, das zu berichtigen. In meiner Abschlussarbeit ging es um
     Künstliche Intelligenz, Fremdheit und das versklavte Bewusstsein. Ich habe versucht, die kapitalistische Wirtschaft als K I-Programm zu lesen. Da war ich aber schon nicht mehr auf der Suche nach Außerirdischen. Jedenfalls habe ich mich gleich danach für
     einen Master-Studiengang eingeschrieben – ich wollte schließlichnicht für das System arbeiten, das ich gerade noch kritisiert hatte. Aber dann verlor mein Vater seine Stelle, und ich musste
     den Master ziemlich schnell sausenlassen, mir die Haare abschneiden und mir einen Job suchen.»
    «Du musstest abbrechen?»
    «‹Müssen› ist zu viel gesagt. Meine Eltern haben mir nie Vorschriften gemacht, aber sie saßen eben plötzlich da ohne festes
     Einkommen und mit einer Riesenhypothek. Ich musste ihnen irgendwie helfen.

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