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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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     Viecher sezieren. Emma und ich haben schon vereinbart, dass wir dann in Streik treten werden. Streiken ist gerade ein äußerst
     beliebtes Thema an der Schule, wahrscheinlich wegen der Bergarbeiter. Emma redet die ganze Zeit davon.
    Irgendwie schaffen wir es, exakt zwei Minuten nach Unterrichtsschluss wieder bei der Umkleide zu sein. Es muss schnell gehen:
     Mein Schulbus wartet schon auf dem Parkplatz, und Roxys Vater wird auch bald da sein. Miss Hind ist allein im Umkleideraum
     und räumt Hockeybälle in eine Kiste.
    «Entschuldigung, Miss», sage ich.
    Sie dreht sich zu mir um. «Ja?»
    «Ich wollte meine Kette abholen.»
    «Das kann ich mir vorstellen. Und sogar zu dritt seid ihr. War das denn nötig? Bist du wirklich so feige, dass du dich nicht
     traust, allein zu kommen?»
    Am liebsten würde ich sie anbrüllen, ihr ins Gesicht schreien, dass sie immerhin gewalttätig und unberechenbar ist und heute
     schon eine meiner Klassenkameradinnen an die Wand gedrückt hat. Aber ich sage nur: «Kann ich bitte meine Kette wiederhaben?»
    Seufzend steht sie auf und holt den Pappkarton. «Eigentlich wollte ich sie ja übers Wochenende konfiszieren, aber das ist
     mir viel zu mühsam. Da hast du sie.»
    Sie wirft mir die Kette zu, aber ich bin zu langsam, um sie aufzufangen, und sehe sie fast in Zeitlupe zu Boden fallen. Mein
     armes Medaillon! Mit einem kleinen Aufschrei bücke ich mich, um es aufzuheben.
    «Und wie sagt man?», fragt Miss Hind, während ich abgestandenes Wasser von meinem Medaillon reibe. Sie sagt es in dem Ton,
     den Leute anschlagen, wenn sie wollen, dass man ihnen dankt.
    «Wie bitte?», frage ich zurück.
    «Wie sagt man?» Jetzt klingt sie schon strenger. Offenbar erwartet sie allen Ernstes, dass ich danke sage.
    Ich mustere sie mit hasserfülltem Blick, dann drehe ich mich zu meinen Freundinnen um. «Wollen wir heimgehen?», frage ich.
     Ich werde dieser Frau ganz sicher nicht danken. Auf gar keinen Fall. Ich bin nicht besonders mutig, aber von so einer lasse
     ich mich dann doch nicht einschüchtern. Es ist mir ganz egal, ob sie mir das Leben zur Hölle macht. Falls nötig, flüchte ich
     eben nach Russland, vielleicht sogar mit Alex. Und so verlassen wir ohne ein weiteres Wort den Umkleideraum.
     
    Ich verbringe fast das ganze Wochenende auf meinem Zimmer. Die Schule ist plötzlich ein hochkompliziertes Knäuel aus Umständen,
     über die ich mit meinen Großeltern nicht reden kann. Das mit dem Medaillon kann ich ihnen natürlich unmöglich erzählen, aber
     das ist auch gar nicht nötig, ich habe es ja schließlich wieder. Doch all die anderen Probleme mit der Schule und mein quälendes
     Gefühl der Unzulänglichkeit kommen daher, dass ich nicht normal bin. Und nicht normal bin ich, weil ich hier in diesem Dorf
     bei meinen Großeltern wohne, in einem Haus ohne Fernseher. Ich stelle mir vor, so wie Emma zu leben, in der Wohnsiedlung gleich
     neben der Schule, mit normalen Möbeln und Backofenfritten, mit Eltern und Kleidern aus dem Katalog. Das wäre himmlisch. Dann
     könnte ich Emma auch zum Abendessen einladen. Und ich könnte davon träumen, dass Alex mich eines Tages besuchen kommt und
     mich nicht auslacht. (Er mag zwar keine Eltern haben, aber ich könnte wetten, dass es bei ihm zu Hause einen Fernseher und
     ganz normale Bücher gibt.) Jetzt wünsche ich also allen Ernstes meine Großeltern und alles, was ich sonst noch liebe, zum
     Teufel, nur weil ich Angst davor habe, was die Leute in der Schule von mir denken könnten.
    Wenn alle deine Freunde von einer Klippe springen, springst du dann auch?
Äh, nein. Das ist aber auch eine blöde Frage. Würden sie sich alle von einer Klippe stürzen, müsste ich mir ja keine Sorgen
     mehr machen, was sie von mir denken. Ich fühle mich total überfordert. Meine Großeltern sind beide viel zu beschäftigt, um
     mit mir in die Stadt zu fahren, ich werde also auch nächsten Montag noch keinen Faltenrock haben. Und kein Lipgloss. Irgendwas
     muss ich unternehmen. Nur was? Werden meine Freundinnen mich auch nächste Woche noch mögen, obwohl mir das nötige Zubehör
     fehlt? Mein Plan ist, meine Großeltern zu fragen, ob sie mir statt Pausenbrot nicht lieber Essensgeld mitgeben können, damit
     ich mir mittags Schokoriegel am Kiosk kaufen kann, so wie meine Freundinnen. Was übrig bleibt, kann ich ja vielleicht für
     Lipgloss sparen. Aber dann muss ich nächste Woche auch deswegen noch ein schlechtes Gewissen haben. Was geschieht nur

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