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PopCo

PopCo

Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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oder Wracks befinden, und gibt dem Kapitän dann die Richtung
     vor, die er einschlagen muss, um Felsen, Festland, Wracks oder Untiefen zu vermeiden. Als Nächstes versucht mirDan zu erklären, wie ich die Gezeitenkarten lesen und herausfinden kann, ob das Schiff genügend Abstand zu einem Felsen hat,
     doch mein Gehirn hat gerade eine Phasentransformation begonnen und schaltet von Aufnahme auf Ablehnung.
    «Hör auf!», sage ich und fasse mir mit beiden Händen an den Kopf. «Lass mir das ganze Zeug einfach da, dann kann ich ein bisschen
     üben. Hast du vielleicht ein Buch darüber?»
    Hat er. Ich bin gerettet.
    «Soll ich uns einen Tee holen?», fragt Dan.
    «Ja», sage ich. «Grüntee, bitte.»
    Er verschwindet in die Küche, und ich versuche, die Navigationsutensilien auf meinem Bett etwas ordentlicher zusammenzuräumen.
     Dabei fällt mir ein, dass ich bei der Bestimmung meiner Symptome gestern den Ordnungswahn vergessen habe. Aber den habe ich
     ja eigentlich ständig, insofern ist das vielleicht nicht ganz so schlimm.
    Nach etwa fünf Minuten kommt Dan mit zwei dampfenden Bechern zurück.
    «Hast du dir die Videos angeschaut?», fragt er mit Blick auf den Fernseher und den Videorecorder.
    «Ja», sage ich. «Zwei zumindest. Wie viele sind es denn insgesamt?»
    «Vier.» Dan lacht. «Weißt du noch die Stelle, wo sie das Finbar-Tier aufgehängt haben? Das hat einen ziemlichen Aufruhr gegeben.»
    «Was denn für einen Aufruhr?»
    «Esther ist total ausgeflippt.»
    «Esther?» Ich runzele die Stirn. «Wieso? Was war denn los?»
    «Als die Jungs in dem Film plötzlich alle ‹Tod dem Bären, Tod dem Bären› gerufen haben, haben Kieran und ein paar andere mitgemacht,
     einfach nur so zum Spaß. Und dann haben die zwei Plüschtierfuzzis, die aus Skandinavien   …»
    «Mitzi und Niila oder wer?»
    «Ja, genau. Die haben gesagt, sie sollen aufhören. Sie haben die Serie mitentwickelt und waren ziemlich entsetzt darüber.
     Danach hatten wir Pause, alle sind nach draußen. Mitzi war ziemlich aufgelöst, und Niila hat sie getröstet. Da steht plötzlich
     Esther vor ihnen und sagt: ‹Wie könnt ihr bloß so rührselig werden wegen einem beschissenen Spielzeug, für das in China Leute
     ausgebeutet werden?› Und dann ist sie richtig auf Mitzi losgegangen und hat ihr erklärt, dass alle PopCo-Plüschtiere in Sweatshops
     in Südostasien hergestellt würden, bis Mitzi richtig geheult hat und dein Freund Ben kam und Esther von ihr weggeholt hat.
     Aber sie hat auch danach noch die ganze Zeit von den Zuständen in den chinesischen Fabriken geredet, dass die Leute da nicht
     mal einen Dollar am Tag verdienen und in den Fabriken ständig Arme oder Beine verlieren und das ganze Blabla   …»
    Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass ich es wohl kaum als «Blabla» empfinden würde, einen Arm oder ein Bein zu verlieren.
    «Stimmt das denn?», frage ich. «Ich dachte, unser Spielzeug wird nicht in solchen Betrieben produziert. Gibt es da nicht irgendwelche
     Vorschriften   …?»
    Dan zuckt die Achseln. «Das wird schon stimmen. Wirtschaftlich gesehen ist es ja auch sinnvoll. Und Esthers Sichtweise ist
     doch auch irgendwie naiv. Wir wissen doch gar nicht, wie es in solchen Ländern zugeht. Immerhin haben die Leute dadurch Arbeit.
     Was sollen wir denn tun? Ihnen ihre einzige Einkommensquelle wegnehmen?»
    «Ich weiß nicht», sage ich. «Wenn das tatsächlich stimmt, bin ich eher Esthers Meinung. Das ist doch unethisch   …»
    «Aber woher willst du denn wissen, dass es unethisch ist?», fragt Dan. «Mit einem Dollar am Tag lebt man in so einem Land
     wahrscheinlich wie Gott in Frankreich. Ich meine, du kannst doch niemandem dreißigtausend im Jahr zahlen, derin einer Fabrik in China Spielzeug herstellt. Da muss es doch Abstufungen geben.»
    «Ein Dollar am Tag ist nirgendwo besonders viel», widerspreche ich. «Außerdem können die Zustände in diesen Fabriken unmöglich
     gut sein, wenn die Arbeiter ständig Gliedmaßen einbüßen. Wahrscheinlich müssen diese Leute dort arbeiten, weil sie einfach
     keine andere Wahl haben.»
    «Man hat immer eine Wahl», sagt Dan. «Sie können immer noch entscheiden, nicht dort zu arbeiten.»
    Ja, und dann? Wenn sie ihre einzige Verdienstmöglichkeit aufgeben, kostet sie das vermutlich das Dach über dem Kopf. Es ist
     immer leicht, jemand anderem zu empfehlen, seine Arbeit aufzugeben, bis man darüber nachdenkt, was das für einen selbst bedeuten
     würde. Ich denke an

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