PopCo
Wohnzimmer oder in der verdreckten, engen Küche, lassen
Joints kreisen und diskutieren über Politik und Musik und die Demos, auf denen sie waren. Rachel und ich dürfen bis zum nächsten
Morgen wegbleiben und sind fest entschlossen, auch keine Minute früher nach Hause zu gehen. Wir trinken Cider und Wodka und
rauchen unseren ersten Joint. Unser Augen-Make-up verwischt, unser Atem riecht säuerlich. Außerdem knurrt uns der Magen. Das
letzte Mal haben wir mittags etwas gegessen. Ein Student namens Toby unterhält sich mit mir, sein Freund Gary, der Musiker
ist, redet mit Rachel. Wir lassen uns beide in dieser Nacht entjungfern, auf zwei verschiedenen Seiten desselben Zimmers,
während wir beide glauben, dass die andere schläft. Als ich dran bin, läuft «Voodoo Ray» auf der alten, scheppernden Stereoanlage.
In den nächsten paar Monaten stapeln sich die diversen Accessoires und Requisiten unserer abgelegten Identitäten in den Ecken
unserer Zimmer, als hätten wir dort einen Dauerflohmarkt. Kaputte Walkmen, Uhren, die gar nicht mehr cool sind («cool» ist
das neue Wort, das wir verwenden, wenn wir etwas gut finden), die französischen Existenzialistenromane, die wir eines Samstags
im Buchladen gekauft haben, weil sie so gut zu unseren französischen Zigaretten passten, kleine Notizbücher voller Gedichte
und unseren jeweiligen «In-» und «Out»-Listen, Zippo-Feuerzeuge (wir haben beschlossen, das Streichholzschachteln aus spannenden
Clubs sehr viel schicker sind), Seidenschals, Baskenmützen, Zigarettenpapier mit Mentholgeschmack, Parfums, Deos, Lippenstifte,
schwarzer Nagellack, Independent-Platten (wir stehen jetzt auf House) und Plakate mit Demo-Aufrufen aus der Zeit, als wir
viel in dem besetzten Haus rumhingen. Sogar mein angelaufenes altes Medaillon liegt irgendwo dazwischen, neben der zerlesenen
Ausgabe von
Woman on the Edge of Time
.
Wie viel Leben wir wohl in den kleinsten Raum packen können? Wir pressen unsere wenigen Erfahrungen aus wie Orangen, erzählen
unseren neuen Freunden, wie kaputt wir sind und wie viel Sex wir ständig haben. Ich behaupte, durch das Verschwinden meines
Vaters bleibenden Schaden genommen zu haben, und Rachel macht aus ihrem Internat eine Besserungsanstalt, um mehr Geschichten
und Diskussionsbeiträge liefern zu können. Wir behaupten, bahnbrechende Fernsehsendungen gesehen zu haben, die liefen, als
wir gerade mal zehn waren, obwohl Rachel damals im Internat war und ich bis heute keinen Fernseher habe. Wir schwindeln uns
sogar gegenseitig an. «Neulich habe ich Koks probiert», sagt Rachel. «Hat einer in die Schule geschmuggelt.» «Ja, ich weiß»,
sage ich. «Das hab ich auch probiert.» Als ob irgendjemand Koks in die Schule schmuggeln könnte! Aber plötzlich kann man nicht
mehr zugeben, irgendetwas (Koks, Acid, Speed) zum ersten Mal zu probieren, weil erste Male schrecklich uncool sind. Wir geben
ja nicht einmal vor uns selber zu, dass wir zwei unerfahrene Sechzehnjährige sind. Wenn uns der letzte Bus weggefahren ist,
trampen wir nach Hause. Wir lesen Romane, die sich «feministisch» nennen und in denen Prostituierte vergewaltigt werden, und
finden sie tiefgründig. Und irgendwie auch erregend, was wir bereitwillig voreinander zugeben. Wir rechnen immer noch damit
zu sterben, weil Saddam Atombomben auf uns abfeuert. Wir stoßen zu einer anderen Clique in einem anderen besetzten Haus, aus
Toby wird Mike und aus Gary Dave. Dave hat eine Freundin, die ein Kind von ihm erwartet, aber das ist Rachel egal. Sie ist
schließlich jünger, hübscher und sinnlicher. Außerdem sind wir jetzt erwachsen und tun erwachsene Dinge, wie die Leute in
den Büchern, die wir lesen. Ganz klar, dass es dabei auch Opfer geben muss. Aber das ist ja nicht unser Problem.
Doch der Sommer verändert alles, wie Sommer das so an sich haben. Habe ich wirklich geglaubt, mit all dem durchzukommen? Habe
ich wirklich geglaubt, ich könnte cool und beliebt und ich selbst sein, alles gleichzeitig? Wie blöd ich war. Plötzlich –
bamm, bamm, bamm, bamm – ist alles vorbei, einfach so. Bamm! Meine ersten Prüfungen sind unter aller Kanone, und Rachel fällt
sogar durch. Bamm! Rachel ist schwanger und kann es ihren Eltern nicht sagen. Bamm! Bei ihrer Mutter wird Brustkrebs diagnostiziert.
Bamm! Meine Großmutter kommt mit dem ersten der vielen Schlaganfälle, die sie noch erleiden wird, ins Krankenhaus. Mein Leben
fühlt sich an wie
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