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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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unbestimmte Zeit krankgemeldet.
     Als Ersatz für ihn kam eine neue Lehrerin, eine gewisse Miss Rider, und ich schaffte es gerade noch rechtzeitig vor den Prüfungen
     in die beste Matheleistungsgruppe. Zum Glück, denn dieGruppen 2 und 3 wurden nur zur Intermediate-Prüfung zugelassen, wo man gar keine bessere Note als «Befriedigend» erreichen
     kann.
    Rachel hat genauso gute Noten wie ich, und wir beraten darüber, wo wir unsere A-Levels machen wollen. Ich habe definitiv keine Lust, wieder nach Groveswood zurückzugehen und mich mehreren hundert Tagen weiterer
     Tortur auszusetzen. Und Rachel hat die Nase voll davon, irgendwo auf dem platten Land mit einem «Haufen magersüchtiger Millionärstöchterchen»,
     wie sie sagt, eingesperrt zu sein. In den letzten Jahren hat sich an ihrer Schule einiges geändert. Dort dazuzugehören ist
     mindestens so kompliziert wie bei mir in Groveswood, und man darf zwischendurch nicht mal nach Hause. Alles muss stimmen:
     die Zeit, die man unter der Dusche verbringt, das Deo, die Musik, die man nachts im Bett auf dem Walkman hört, die Platten,
     die man mit in die Schule bringt, die Jungs, die man kennt, die Briefe, die man kriegt. Vergangenes Jahr habe ich mich in
     meinen Briefen an Rachel sogar hin und wieder als ein gewisser Rupert ausgegeben, was offenbar ein wenig geholfen hat. Aus
     lauter Verzweiflung hat sie sich im Internat das Rauchen angewöhnt und bringt es jetzt mir bei. Wir schwören uns gegenseitig,
     mit zwanzig (was ja noch ewig hin ist) wieder aufzuhören, aber wir finden die Werbeplakate einfach zu toll: dieses Stück dunkellilafarbener
     Seide, das auf so vielfältige Weise zerschnitten ist. Bald werden Zigarettenfirmen nicht mehr direkt für ihre Produkte werben
     dürfen, doch unsere Marke versteht sich schon jetzt bestens darauf, ihre Werbung auf raffinierte Weise zu verschlüsseln. Wenn
     Rachel und ich in dem Sommer, als wir beide sechzehn sind, zusammen in die Stadt gehen, betrachten wir die großen, glänzenden
     Plakatwände und wissen, ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass diese Bilder für unsere Zukunft stehen. Sie stehen für all
     das, was unser Dorf niemals bieten kann. Siestehen für London, für Glamour, Sex und Erwachsensein. Sie stehen für Kunstfilme, Küsse und ein eigenes Auto.
    Wir werden beide am örtlichen Oberstufenkolleg angenommen. Den Sommer über sitzen wir stundenlang in einem Café ganz in der
     Nähe des Marktes und erzählen einander prickelnd-gruselige Geschichten darüber, dass die anderen Schüler auf dem Kolleg bestimmt
     alle in Bands spielen, gefärbte Haare haben, Drogen nehmen und ganz seltsame Aussteiger und Loser sein werden. Wir haben beide
     Angst vor diesen Dingen, wollen sie aber auch unbedingt erleben. Wir wollen jede eine eigene Persönlichkeit, die über die
     Beschreibung «brave Jungfrau vom Dorf, die sich jeden Abend sorgfältig die Haare bürstet» hinausgeht.
    Und so sitzen wir im Café, trinken Espresso, obwohl er uns gar nicht schmeckt, und rauchen unsere Zigaretten aus der weiß-lila
     Packung. Wir sagen zueinander: «Ich brauche jetzt wirklich eine Zigarette», so lange, bis es eines Tages tatsächlich stimmt.
     Wir stacheln uns gegenseitig dazu an, in den düsteren, verrauchten Plattenladen zu gehen und uns unter die mageren, schwarzgekleideten
     Jungs dort zu mischen. Wir träumen und hoffen und beten, dass sich eines Tages zwei junge Typen im Café zu uns an den Tisch
     setzen werden – zwei Typen mit langen schwarzen Mänteln und Doc Martens und Buttons und Plattensammlungen und einer eigenen
     Wohnung. Aber das passiert natürlich nie.
    Mit Babysitten kratzen wir genug Geld zusammen, um uns zerrissene 50 1-Jeans zu kaufen und schwarze Polohemden. Wir machen Diät. Wir leihen uns Filme auf Video aus, in denen es um kaputte Balletttänzer
     geht, um Urlaubsromanzen und um Jugendliche aus Kleinstädten, wo Partys gesetzlich verboten sind. Wir leihen uns auch französische
     Kunstfilme, in denen Mädchen, die kaum älter sind als wir, rauchen und unglaublich intensiven Sex haben. Wir machen Pläne
     für unser «erstes Mal». Wir kaufen Postkarten von nackten schwarzen Männern, die ein weißes Baby im Arm halten, stilisierte Fotos von
     zertanzten rosa Spitzenschuhen und das große Poster mit der Tennisspielerin, die allen ihren Hintern zeigt. Aus der Sonntagsbeilage
     der Zeitung schneiden wir die Anzeigen unserer Lieblingszigarettenmarke aus und hängen sie mit Klebestreifen über unsere

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