PopCo
fragen, ob sie eine Primzahl ist. Bei der 361 habe ich das gerade auch gemacht, obwohl ich
doch weiß, dass sie eine Quadratzahl ist. Vielleicht liegt es ja daran, dass mein Geburtsdatum aus lauter Primzahlen besteht:
19. 7. 1973. Die 19 ist eine Primzahl, die7 ebenfalls und auch die 1973. Sie lassen sich durch keine andere natürliche Zahl teilen als durch1 und sich selbst. Es gibt übrigens gar nicht so viele
Möglichkeiten, in einem Primzahljahr geboren zu sein. Im 20. Jahrhundert kamen dafür nur 1901, 1907, 1913, 1931, 1933, 1949, 1951, 1973, 1979, 1987, 1993, 1997 und 1999 in Frage. Als
mir klarwurde, dass mein Geburtsdatum aus lauter Primzahlen besteht, nahm ich automatisch an, dass auch alles andere in meinem
Leben prima verlaufen würde. Schließlich sind Primzahlen die rätselhaftesten und schönsten Zahlen, die es gibt. Sie lassen
sich selbst nicht teilen, doch jede andere Zahl kann in ihre Primfaktoren zerlegt werden. Primzahlen sind der Grundbaustein
für alles andere.
So sitze ich hier, an einen grauen Stein gelehnt, auf der sonnenwarmen Erde und schließe die Augen. Und plötzlich sehe ich
nur noch abstrakte Bausteine in der Dunkelheit. Die Steine in meinem Rücken, die Steine unter der Erde, die Steine, aus denen
all die Gebäude des PopCo-Anwesens am Fuß des Hügels bestehen. Man kann etwas erbauen und es anschließend zerstören und begraben,
doch die Grundbausteine bleiben immer gleich. Primzahlen, Gene, Atome. Die Grundbausteine müssen doch immer gleich bleiben,
oder?
KAPITEL VIERZEHN
M ein Großvater kocht Marmelade ein, während meine Großmutter in ihrem Arbeitszimmer sitzt.
«Was macht sie eigentlich den ganzen Tag da oben?», frage ich und halte mich dabei in sicherer Entfernung von dem großen Topf,
so wie er es mir gesagt hat.
«Sie rechnet», sagt mein Großvater schlicht.
«Und was rechnet sie?»
«Ziemlich komplizierte Aufgaben.»
«Was denn für ziemlich komplizierte Aufgaben?»
«Sie versucht, die Riemann’sche Vermutung zu beweisen.»
«Die
was
?»
Mein Großvater lacht. «Eben. Und mir wirft sie immer vor, ich würde mir unlösbare Aufgaben vornehmen.»
Ich habe keine Ahnung, was er damit meinen könnte.
Später am Nachmittag darf ich ihm helfen, die Gläser mit Musselinstückchen zu verschließen, die dann mit Gummibändern fixiert
werden. Dann schreiben wir
Orange,
1983 auf die Etiketten und räumen die Gläser in die Speisekammer. Als wir fertig sind, kommt meine Großmutter gähnend aus
dem Arbeitszimmer, was für meinen Großvater das Zeichen ist, ihr einen Whisky auf Eis zu servieren.
«Was ist die Riemann’sche Vermutung?», frage ich sie sofort.
Sie lacht. «Ein Teufelswerk.»
«Ist sie wichtig?», will ich als Nächstes wissen.
«Ja. Für manche Leute schon», antwortet sie mit belustigter Miene.
Es ist nie ganz leicht, ein Gespräch mit meiner Großmutter zu führen. Nicht, weil sie irgendwie furchteinflößend wäre –sie hat einfach nur immer so schrecklich viel zu tun. Mein Großvater plaudert über alles Mögliche mit mir: Er erzählt mir,
wie das Wetter entsteht, redet über Ian Botham, erklärt mir Stromkreisläufe und zeigt mir, wie man Holz abschleift, Farben
zusammenmischt und solche Sachen. Aber meine Großmutter bleibt geradezu erschreckend rätselhaft. Manchmal frage ich sie schüchtern:
«Was gibt es denn zum Abendessen?» oder: «Glaubst du, es wird bald regnen?», worauf sie jedes Mal zerstreut erwidert: «Hm? … Ach, frag doch besser deinen Großvater» und wieder nach oben in ihr Arbeitszimmer verschwindet. Einmal habe ich sie nach
ihrer Lieblingsfarbe gefragt, um diese Standardantwort zu vermeiden. Sie hat mich eine Zeitlang sichtlich verwirrt gemustert
und schließlich erwidert, das wüsste sie gar nicht. Ich glaube schon, dass sie mich gern hat, aber ganz sicher nicht so gern
wie mein Großvater. Nach der Riemann’schen Vermutung habe ich sie vor allem deshalb gefragt, weil sie sich dafür offensichtlich
am meisten interessiert; vielleicht mag sie mich ja lieber, wenn ich das begreife, was ihr am wichtigsten ist. Da sie sich
aber nicht besonders mitteilsam zeigt, ändere ich die Taktik.
«Was war die wichtigste Mathematikaufgabe, die je gelöst wurde?», frage ich.
Mein Großvater kommt dazu und setzt sich mir gegenüber in seinen Lieblingssessel. «Na, das ist ja mal eine Frage», sagt er.
«Eine wirklich interessante Frage.» Er sieht erst meine Großmutter an,
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