PopCo
dann wieder mich. «Die wichtigste Mathematikaufgabe.
Hm.»
«Euklid?», meint meine Großmutter mehr zu ihm als zu mir.
«Hmm. Na, vermutlich doch eher Bletchley Park.»
Sie schaut einen Moment lang traurig drein. «Tja …»
Mein Großvater sieht mich an. «Sagt dir Bletchley Park etwas?»
Ich schüttele den Kopf und stelle mir dabei einen riesengroßen Park mit Ententeichen vor.
«Bis vor kurzem war das alles noch streng geheim …»
Ich bin sofort ganz bei der Sache. «Hat es etwas mit dem Krieg zu tun?», frage ich eifrig.
«Das kann man wohl sagen.»
Und während meine Großmutter langsam ihren Drink leert, erzählt mir mein Großvater, dass damals, im Zweiten Weltkrieg, die
begabtesten Mathematiker, Sprachwissenschaftler, Rätselfanatiker, Musiktheoretiker und Schachspieler zusammengetrommelt und
in geheimer Mission auf einem Landsitz zwischen Oxford und Cambridge untergebracht wurden, um die Geheimnachrichten der Deutschen
zu knacken. Er berichtet so lebhaft und detailliert von diesem Landsitz mit seinen Außengebäuden, den sogenannten «Baracken»,
seinem Ballsaal und seinen Parkanlagen, dass ich fast das Gefühl habe, er muss selbst dort gewesen sein. Während er erzählt,
schweigt meine Großmutter und nickt nur hin und wieder oder zieht die Brauen hoch, wie um das, was er sagt, zu bestätigen.
Er erzählt mir von der Enigma-Maschine, die Botschaften in angeblich nicht zu knackende Geheimtexte chiffrierte, und von den
Deutschen, denen beim Verschlüsseln immer wieder Fehler passierten, was den britischen Kryptoanalytikern das Entschlüsseln
der Botschaften wiederum erleichterte.
«Die Schlüssel änderten sich jeweils um Mitternacht», erklärt er. «Dann strömten die abgefangenen Botschaften nur so herein,
und es begann ein Wettlauf mit der Zeit, um den Schlüssel des Tages zu knacken …»
«Was meinst du eigentlich mit ‹Schlüssel›?», frage ich.
«Die Einstellungen der Enigma-Maschine», sagt mein Großvater. «Wenn man die Einstellungen kannte, konnte man auch die Botschaften
dechiffrieren. Es gab gewisse Informationen, die die Kryptoanalytiker zu ihrem Vorteil nutzten: dass keineEinstellung mehr als zwei Mal verwendet werden durfte beispielsweise und für die neue Einstellung nie zweimal hintereinander
dieselbe Walzenlage benutzt wurde und so weiter … Eine Enigma-Maschine verschlüsselt einzelne Buchstaben außerdem nie mit sich selbst; auch das half, das Feld einzugrenzen.
Grundsätzlich war die vorherrschende Meinung aber schon, dass das Enigma nicht zu entschlüsseln sei. Manchmal haben die britischen
Streitkräfte sogar gezielte Manöver inszeniert – bestimmte Flottenbewegungen beispielsweise –, um zu wissen, was die deutschen Botschaften an diesem Tag enthalten würden. Wenn man in etwa weiß, was in der chiffrierten
Nachricht steht, ist sie natürlich viel leichter zu entschlüsseln. Außerdem achteten die Kryptoanalytiker vor allem auf Nachrichten,
hinter denen sie Wetterberichte vermuteten; schließlich weiß man ja, wie an einem bestimmten Tag das Wetter war. Aber bei
dem Enigma gilt ein Schlüssel eben immer nur vierundzwanzig Stunden lang, dann ändert er sich wieder. Die Alliierten mussten
die Chiffre also in ihrer Gesamtheit knacken, nicht nur den jeweiligen Schlüssel.»
«Und wie haben sie das gemacht?», frage ich.
Er lacht leise. «Mit der Bomba.»
«Mit einer Bombe?»
«Nein.» Er wiederholt das Wort noch einmal. «Mit der Bomba. Das ist eine Art ganz früher Computer, der ursprünglich von einem
polnischen Wissenschaftler erfunden wurde, dem er auch seinen Namen verdankt. Weiterentwickelt wurde er von Alan Turing, dem
bekanntesten Kryptoanalytiker aus Bletchley Park. Turings Maschine bildet die Grundlage für alle heutigen Computer.»
Ich habe noch nie einen Computer gesehen, weiß aber, dass James einen sogenannten ZX Spectrum hat, auf dem er irgendwelche
Weltraumspiele macht. Bevor ich schiffbrüchig wurde und wegziehen musste, waren in meiner Schule alleganz verrückt nach diesen Telespielen, die aussehen wie kleine Computer. Einmal habe ich mir eins von meiner Freundin ausgeliehen
und
Frogger
zu spielen versucht, aber mein Frosch war ziemlich schnell tot, und sie nahm mir das Spiel wieder weg.
«Turing», sagt meine Großmutter wehmütig. «Er war ein wahres Genie. Wie konnten sie bloß zulassen, dass es ein solches Ende
mit ihm nahm?»
«Was für ein Ende hat es denn mit ihm
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