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die Natur und fängt an, sich zu fragen, ob Organismen tatsächlich entworfen wurden
oder nicht. Das habe ich auch schon von Biologen gehört. Als normaler Mensch vergisst man leicht, wie komplex Lebewesen und
Pflanzen eigentlich sind. Aber wenn man sich mal klarmacht, wie viele Milliarden Dinge ein biologischer Organismus neben dem
Auf-zwei-Beinen-Gehen noch zusätzlich machen kann – denken, schwitzen, reden, seine Tage haben, solche Sachen –, dann stellt man fest, dass dieser Entwurf unseren Verstand himmelweit übersteigt. So was Komplexes können wir unmöglich
herstellen, nicht mal ein Hundertstel oder Tausendstel davon … Wie man da glauben kann, man könnte einfach so verschiedene Gene wegnehmenoder hinzufügen und damit die Natur verbessern, ist mir völlig schleierhaft. Das ist, als würde man bewusst etwas kaputt machen,
obwohl man weiß, dass man es hinterher nicht mehr reparieren kann. Wie eine Einwegfunktion, falls ihr wisst, was das ist …»
«M-hm.» Ich nicke.
«Und, was ist es?», fragt Dan.
«Eine mathematische Funktion, die nur in eine Richtung geht», erkläre ich. «Manchmal nennt man sie auch Falltürfunktion. Die
Grundidee ist, dass sie zwar leicht zu lösen, aber schwer umzukehren ist. So, wie wenn man durch eine Falltür fällt. Wenn
man eine Zahl in eine Einwegfunktion einsetzt, bekommt man ein Ergebnis, aber aus irgendeinem Grund kann man dieses Ergebnis
dann nicht einfach irgendwo anders einsetzen und die Zahl vom Anfang herauskriegen. Die Funktion geht also nur in eine Richtung.»
Dan guckt verständnislos. Meine Erklärung war wohl nicht besonders gut.
«Pass auf, wenn ich die Funktion x+5 nehme und sage, das Ergebnis sei gleich y, kann ich x immer ermitteln, indem ich 5 von
y subtrahiere. Aber viele Einwegfunktionen sind so komplex und ergeben so große Zahlen, dass man sie einfach nicht in ihre
Einzelteile zerlegen kann. Das ist sozusagen das mathematische Äquivalent zum Mischen von Farben. Wenn ich eine Dose blaue
und eine Dose gelbe Farbe nehme und beides miteinander mische, habe ich anschließend zwei Dosen mit grüner Farbe. Aber wenn
ich das Grün einmal habe, gibt es keine Möglichkeit mehr, die Dose mit dem Blau zurückzubekommen. Farben lassen sich nicht
entmischen.»
«Genau so ist es», sagt Grace. «Und in der Gentechnologie experimentieren sie mit den genetischen Äquivalenten von Gelb und
Blau, mischen sie fröhlich und machen sich gar nicht klar, dass man die ursprünglichen Farben hinterher nichtmehr wiederkriegt. Dabei gibt es sogar schon dieses Superunkraut, gegen das weder Unkrautvernichter noch natürliche Feinde
etwas ausrichten können. Wenn die Mutationen erst mal da sind, kann man sie nicht mehr daran hindern, sich auch zu verbreiten.
Das ist erschreckend. Und von der Nanotechnologie fange ich besser gar nicht erst an …»
«Irgendwo habe ich gehört, dass ein paar Biotechunternehmen schon an Pflanzen ohne Samen arbeiten», sagt Esther. «Wenn man
die anpflanzen will, muss man jedes Mal wieder zu der Firma gehen und neue kaufen. Wenn sich das durchsetzt, ist das bestimmt
der Weltuntergang. Stellt euch mal vor, keine Pflanze hat mehr Samen …»
«Das wird sicher nicht passieren», sagt Grace. «Denk das doch mal weiter. Ohne Samen können sich auch keine Merkmale verbreiten.
Unfruchtbarkeit ist so ziemlich das Einzige, was die Natur nicht zulässt. Wenn es keine Samen gibt, kann sich das Merkmal
nicht ausbreiten.»
«Auch wieder wahr.» Esther macht ein verlegenes Gesicht. «Trotzdem gefällt mir der Gedanke nicht, dieses Zeug essen zu müssen.
Ich will doch kein Gemüse mit Heuschreckengenen. Ich bin Veganerin.»
«Das würde ich auch nicht wollen», sagt Grace.
Eine Zeitlang liegen wir alle schweigend im Gras und schauen zum Himmel hinauf. Ich denke darüber nach, dass es immer noch
derselbe Himmel ist, den ich schon als Kind gesehen habe, obwohl sich hier unten auf der Erde alles verändert hat. Als Kind
weiß man, dass die Dinge sich ändern werden, weil einem das alle Welt sagt; und sie ändern sich ja auch, allerdings so langsam,
dass man es kaum bemerkt. Ein politisches Regime wird gestürzt, irgendwo fliegt etwas in die Luft, Menschen kommen dabei ums
Leben, und plötzlich ist die Welt eine andere. Nur der Himmel bleibt immer gleich, und der Mond nimmt jeden Monat ab und wieder
zu. Aberwenn die Menschen das ändern könnten, würden sie es höchstwahrscheinlich tun.
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