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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Leben nur weniges, und dieses wenige gab keinerlei
     Anlass zur Freude. Sie hatten weder Arbeit noch ein Dach über dem Kopf. Vielleicht würden sie noch jahrelang darben müssen
     und keine rechte Unterkunft finden. Robert konnte jederzeit des Vagabundierens bezichtigt und an den Pranger gestellt oder
     ausgepeitscht werden. Auf dem Weg nach Taunton, oder wohin sie auch immer unterwegs waren, würden sie mit Sicherheit erneut
     ausgeraubt werden. Und für einen Säugling waren die Überlebenschancen in einer großen Stadt mit mangelhafter Sauberkeit auch
     nicht allzu groß, falls er überhaupt gesund dorthin gelangte. Eine Mutter will immer das Beste für ihr Kind, und Mary mit
     ihren vier gesunden Kindern wusste, dass sie unter ähnlichen Umständen genauso gehandelt hätte. Indem sie ihren neugeborenen
     Sohn vor der Tür des Hofs aussetzte, hatte Elizabeth ihm alles gegeben, was sie ihm zu geben vermochte. Sie hatte ihm die
     Hoffnung auf ein gutes Leben geschenkt. Frische Luft, regelmäßige Mahlzeiten, ein Dach über dem Kopf – wenn die Younges sich
     entschlossen, gut zu ihm zu sein und ihn nicht ihrerseits wieder aussetzten, waren seine Aussichten gar nicht so übel. Und
     nach einer kurzen Beratung befand das Ehepaar Younge tatsächlich, dass es ihnen nicht schwerfallen würde, ein weiteres Mäulchen
     zu stopfen, und dass es ihre Pflicht als Christenmenschen war, sich des Knaben so lange anzunehmen, bis er in der Lage war,
     sich selbst durchs Leben zu schlagen. Zudem hegten sie die Hoffnung, dass seine Eltern eines Tages zurückkehren und ihn holen
     würden. Das geschah jedoch nie.
    Ein weiterer Sohn war in einer Bauernfamilie natürlichgern gesehen, und Francis wuchs zu einem kräftigen Burschen heran, der es verstand, sich nützlich zu machen. Bereits mit sechs
     Jahren konnte er einen Großteil der Arbeit eines ausgewachsenen Mannes erledigen. Er säte, molk, half bei der Ernte, mistete
     den Pferdestall aus, kümmerte sich um die Hühner und die Schweine, butterte und half Mary und ihrer Tochter Molly beim Käsemachen.
     Molly, das Nesthäkchen der Familie, war im selben Alter wie Francis, und als sie beide neun Jahre alt waren, besuchten die
     älteren Söhne bereits die Lateinschule. Der Familie ging es immer noch gut. Den Überschuss des Hofes brachten sie zweimal
     in der Woche auf den Markt im Dorf, immer häufiger jedoch luden sie die Waren auf einen Karren und brachten sie auf entlegenere
     Märkte, wo bessere Preise zu erzielen waren. Das ärgerte die Dorfbewohner. Sie hatten die Younges immer geschätzt und kannten
     sie als freundliche Familie, doch nun ließ das Wohlwollen langsam nach. Thomas der Ältere fand nichts verwerflich daran, seine
     besten Käse und Häute sowie Eingemachtes auf Märkte nach London oder Bristol zu entsenden und damit gutes Geld zu verdienen,
     doch die Dorfbewohner waren anderer Ansicht. Sie hielten es für die Pflicht des Freisassen, seinem Dorf preiswerte Lebensmittel
     zur Verfügung zu stellen, und brachten zwei überzeugende Argumente dafür vor. Das erste war recht simpel: Die Dorfbewohner
     brauchten Lebensmittel. Woher sollten sie die nehmen, wenn der örtliche Hof ihnen nichts mehr verkaufen wollte? Sollten sie
     etwa ihr eigenes Gewerbe aufgeben und selbst Bauern werden? Wer würde dann aber Schuhe machen, Stoffe weben, Arzneien herstellen
     und andere zum Lachen bringen? Jeder hatte seine Rolle, und die Rolle des Freisassen und Bauern bestand nun einmal darin,
     die Dorfbewohner zu ernähren.
    Es gab jedoch auch noch ein wirtschaftliches Argument. Die Dorfbewohner wiesen darauf hin, dass Thomas und Mary ihreSchuhe und Stoffe ja auch nicht in London kauften, sondern hier, auf dem Dorfmarkt. Wie aber sollten die Weber und Schuster
     im Dorf ihre Arbeit tun, wenn sie nichts zu essen hatten? Wenn die Dorfbewohner gezwungen waren, auf dem Markt teurere Lebensmittel
     zu erstehen – die, unvernünftig genug, von kilometerweit entfernten Bauernhöfen herangeschafft und zu sehr viel höheren Preisen
     verkauft wurden   –, mussten auch sie ihre Preise erhöhen, um sich weiter über Wasser zu halten. Mit Fernhandel Geld zu verdienen war ihres
     Erachtens falsche Wirtschaftlichkeit. Heute würden die Younges daraus zwar noch Profit schlagen, doch das konnte schon morgen
     alles dahin sein, wenn sich die Preise als Folge solchen Vorgehens allgemein erhöhten. Irgendwann würden alle Preise gestiegen
     sein – und wofür? Da war es doch sehr viel besser,

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