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einigen wenigen anderen, der beste Kryptoanalytiker im ganzen Land war. Nach dem Krieg
machte ich mich wieder an die Arbeit, mit der ich mich seither beschäftige: Ich unterrichtete Mathematik und versuchte, einen
Beweis für die Riemann’sche Vermutung zu finden. Doch dein Großvater erhielt sich seinen rebellischen Geist, eine gewisse
‹Ich werd’s euch allen zeigen›-Attitüde. Und nach Turings Tod wurde es ihm umso wichtiger, es ‹allen› zu zeigen. Die Funktionäre
von Bletchley Park – die Crème de la Crème unter den damaligen britischen Kryptoanalytikern – hatten Turing massiv unter Druck
gesetzt, doch am Ende war es die ungerechte Verhaftung im Zusammenhang mit seiner Homosexualität, die ihn zum Äußersten trieb.
All das hat deinen Großvater nur noch darin bestärkt, sich gegen die staatlichen Autoritäten aufzulehnen. Vorschriften waren
für ihn wie Codes und Chiffren: Man musste sie knacken. Er wollte aller Welt beweisen, dass er, Peter Butler, das Unmögliche
möglich machen konnte, und darum begann er gleich nach dem Krieg mit der Arbeit am Stevenson-Heath-Manuskript.
Dein Großvater war schon 1934 oder 1935 zum ersten Mal mit dem Stevenson-Heath-Manuskript in Kontakt gekommen, doch damals
hatte er es nicht weiter beachtet. Das Manuskript ist im Wesentlichen eine kleine Abhandlung mit einer höchst abenteuerlichen
Hintergrundgeschichte, gefolgt von einer Reiheunverständlicher Ziffern und Buchstaben; es galt als codierte Schatzkarte, und da dein Großvater sich nicht weiter für Schatzsuchen
interessierte, überflog er den entsprechenden Artikel im
Cryptogram
bloß und merkte sich nur ein paar kuriose Details, um sie irgendwann beim Abendessen im Freundeskreis zum Besten zu geben.
Ich weiß noch, wie fasziniert wir alle davon waren, dass bis dato angeblich niemand Anspruch auf den Schatz erhoben hatte,
obwohl die ‹Schatzkarte›, wenn auch verschlüsselt, der Öffentlichkeit doch seit bald hundert Jahren zugänglich war.»
«Dann gab es das
Cryptogram
also damals schon?», frage ich. Im Bücherregal liegt ein ganzer Stapel Zeitschriften, die alle so heißen, und ich weiß, dass
mein Großvater alle paar Monate eine neue Ausgabe von der American Cryptogram Association geschickt bekommt.
«Aber ja. Dein Großvater gehörte zu den allerersten Mitgliedern der ACA. Nicht zuletzt deshalb war er ja so verärgert über
die Absage aus Bletchley Park; die meisten anderen Mitglieder waren im Krieg nämlich mit irgendwelchen Dechiffrierungsposten
betraut. Jedenfalls hat das Stevenson-Heath-Manuskript für Kryptoanalytiker und Schatzsucher eine ähnliche Bedeutung wie die
Riemann’sche Vermutung für Mathematiker. Wer es entschlüsseln konnte, dem winkte nicht nur Reichtum durch den Schatz, sondern
auch unsterblicher Ruhm, weil es ihm gelungen war, den Code zu knacken. Dein Großvater war immer ganz begeistert von Dumas’
Roman
Der Graf von Monte Christo
. Kennst du die Geschichte? Es geht um den ehrlichen Seemann Edmond Dantès, der von seinen Freunden betrogen und in ein Gefängnis
auf einer einsamen Insel gesperrt wird, wo er dreizehn Jahre allein in einer steinernen Zelle verbringen muss. Eines Tages
landet ein Mitgefangener, ein Priester, versehentlich in Dantès’ Zelle, als er eigentlich einen Tunnel in die Freiheit graben
will. Sie freunden sich an,der Priester bringt Dantès Lesen und Schreiben bei, und gemeinsam graben sie über mehrere Jahre einen Tunnel, der aus dem
Gefängnis hinausführt. Der Priester weiß von einem vergrabenen Schatz, und kurz bevor er stirbt, überlässt er Dantès die Schatzkarte.
Er nimmt ihm das Versprechen ab, den Tunnel fertig zu graben und den Schatz zu heben. Doch obwohl der Priester ihn beschworen
hat, seinen Reichtum nur dazu zu nutzen, Gutes zu tun, will Dantès damit Rache nehmen. Als er schließlich in Freiheit ist
und reicher als in seinen kühnsten Träumen, schmiedet er einen komplizierten Racheplan und vernichtet schließlich alle, die
ihn betrogen haben. Dabei verliert er aber auch alles, was ihm lieb und teuer war, unter anderem die Frau, die er liebt. Die
Moral der Geschichte ist, dass Rache letztlich nicht glücklich macht; doch so hat dein Großvater sie nie gelesen. Er malte
sich aus, dass er das Rätsel des Stevenson-Heath-Manuskripts lösen, den Schatz heben, reich und berühmt werden und dann etwas
ganz Verrücktes tun würde, beispielsweise die Universität Cambridge zu kaufen
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