Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PopCo

PopCo

Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
Vom Netzwerk:
einigen wenigen anderen, der beste Kryptoanalytiker im ganzen Land war. Nach dem Krieg
     machte ich mich wieder an die Arbeit, mit der ich mich seither beschäftige: Ich unterrichtete Mathematik und versuchte, einen
     Beweis für die Riemann’sche Vermutung zu finden. Doch dein Großvater erhielt sich seinen rebellischen Geist, eine gewisse
     ‹Ich werd’s euch allen zeigen›-Attitüde. Und nach Turings Tod wurde es ihm umso wichtiger, es ‹allen› zu zeigen. Die Funktionäre
     von Bletchley Park – die Crème de la Crème unter den damaligen britischen Kryptoanalytikern – hatten Turing massiv unter Druck
     gesetzt, doch am Ende war es die ungerechte Verhaftung im Zusammenhang mit seiner Homosexualität, die ihn zum Äußersten trieb.
     All das hat deinen Großvater nur noch darin bestärkt, sich gegen die staatlichen Autoritäten aufzulehnen. Vorschriften waren
     für ihn wie Codes und Chiffren: Man musste sie knacken. Er wollte aller Welt beweisen, dass er, Peter Butler, das Unmögliche
     möglich machen konnte, und darum begann er gleich nach dem Krieg mit der Arbeit am Stevenson-Heath-Manuskript.
    Dein Großvater war schon 1934 oder 1935 zum ersten Mal mit dem Stevenson-Heath-Manuskript in Kontakt gekommen, doch damals
     hatte er es nicht weiter beachtet. Das Manuskript ist im Wesentlichen eine kleine Abhandlung mit einer höchst abenteuerlichen
     Hintergrundgeschichte, gefolgt von einer Reiheunverständlicher Ziffern und Buchstaben; es galt als codierte Schatzkarte, und da dein Großvater sich nicht weiter für Schatzsuchen
     interessierte, überflog er den entsprechenden Artikel im
Cryptogram
bloß und merkte sich nur ein paar kuriose Details, um sie irgendwann beim Abendessen im Freundeskreis zum Besten zu geben.
     Ich weiß noch, wie fasziniert wir alle davon waren, dass bis dato angeblich niemand Anspruch auf den Schatz erhoben hatte,
     obwohl die ‹Schatzkarte›, wenn auch verschlüsselt, der Öffentlichkeit doch seit bald hundert Jahren zugänglich war.»
    «Dann gab es das
Cryptogram
also damals schon?», frage ich. Im Bücherregal liegt ein ganzer Stapel Zeitschriften, die alle so heißen, und ich weiß, dass
     mein Großvater alle paar Monate eine neue Ausgabe von der American Cryptogram Association geschickt bekommt.
    «Aber ja. Dein Großvater gehörte zu den allerersten Mitgliedern der ACA. Nicht zuletzt deshalb war er ja so verärgert über
     die Absage aus Bletchley Park; die meisten anderen Mitglieder waren im Krieg nämlich mit irgendwelchen Dechiffrierungsposten
     betraut. Jedenfalls hat das Stevenson-Heath-Manuskript für Kryptoanalytiker und Schatzsucher eine ähnliche Bedeutung wie die
     Riemann’sche Vermutung für Mathematiker. Wer es entschlüsseln konnte, dem winkte nicht nur Reichtum durch den Schatz, sondern
     auch unsterblicher Ruhm, weil es ihm gelungen war, den Code zu knacken. Dein Großvater war immer ganz begeistert von Dumas’
     Roman
Der Graf von Monte Christo
. Kennst du die Geschichte? Es geht um den ehrlichen Seemann Edmond Dantès, der von seinen Freunden betrogen und in ein Gefängnis
     auf einer einsamen Insel gesperrt wird, wo er dreizehn Jahre allein in einer steinernen Zelle verbringen muss. Eines Tages
     landet ein Mitgefangener, ein Priester, versehentlich in Dantès’ Zelle, als er eigentlich einen Tunnel in die Freiheit graben
     will. Sie freunden sich an,der Priester bringt Dantès Lesen und Schreiben bei, und gemeinsam graben sie über mehrere Jahre einen Tunnel, der aus dem
     Gefängnis hinausführt. Der Priester weiß von einem vergrabenen Schatz, und kurz bevor er stirbt, überlässt er Dantès die Schatzkarte.
     Er nimmt ihm das Versprechen ab, den Tunnel fertig zu graben und den Schatz zu heben. Doch obwohl der Priester ihn beschworen
     hat, seinen Reichtum nur dazu zu nutzen, Gutes zu tun, will Dantès damit Rache nehmen. Als er schließlich in Freiheit ist
     und reicher als in seinen kühnsten Träumen, schmiedet er einen komplizierten Racheplan und vernichtet schließlich alle, die
     ihn betrogen haben. Dabei verliert er aber auch alles, was ihm lieb und teuer war, unter anderem die Frau, die er liebt. Die
     Moral der Geschichte ist, dass Rache letztlich nicht glücklich macht; doch so hat dein Großvater sie nie gelesen. Er malte
     sich aus, dass er das Rätsel des Stevenson-Heath-Manuskripts lösen, den Schatz heben, reich und berühmt werden und dann etwas
     ganz Verrücktes tun würde, beispielsweise die Universität Cambridge zu kaufen

Weitere Kostenlose Bücher