PopCo
gleich vor Ort Handel zu treiben. Doch Thomas Younge war Verpflichtungen
eingegangen, von denen er nicht mehr zurücktreten wollte, und so schwelten die Streitigkeiten über mehrere Jahre hinweg.
Francis hatte immer um seine Herkunft gewusst, doch die Dorfbewohner ahnten nichts davon. Für sie war er bloß ein weiterer
Sprössling der Familie Younge. Als Kind kam er mit allen gut zurecht. Er war kräftig, freundlich und galt vielfach als hübscher
Bursche. Die Leute behaupteten sogar, er ähnele seinem Vater, Thomas dem Älteren. Schließlich fasste ein Mädchen aus dem Dorf,
Sarah Marchant, die Tochter des Arztes, eine große Zuneigung zu ihm. Doch sie hatte keinen Erfolg bei ihm, denn Francis und
seine Schwester Molly waren unzertrennlich. Welchen Vorwand Sarah auch fand, auf dem Hof von Francis’ Eltern vorstellig zu
werden, immer traf sie die beiden traut vereint an. Sie arbeiteten gemeinsam, tollten im Sommer über den Heuboden oder ritten
über brachliegende Felder hin zu einem fernen, verbotenen Wald. Sarah fürchtete sich vor Pferden und hatte das Reiten nie
gelernt. Mitunter verbrachtesie ganze Vormittage mit Francis und Molly, half ihnen bei der Arbeit und teilte ein Mittagessen aus Äpfeln, Brot und Ale
mit ihnen, nur um sie am Nachmittag auf ihren Pferden davongaloppieren zu sehen und allein zurückzubleiben. Manchmal, wenn
sie verdrossen und allein nach Hause kam, versuchte sie Zwietracht zu säen: «Vater, warum zieht sich Molly Younge nur immer
so seltsam an?» oder «Vater, die beiden Younge-Kinder sind völlig außer Rand und Band. Ich fürchte fast, sie werden bald zu
Wegelagerern.» Doch das stieß meist auf taube Ohren, bis Sarah eines Tages durch Zufall den besten Skandal entdeckte, den
sie sich hätte wünschen können.
Francis wusste um seine heikle Stellung bei den Younges. Und obwohl er ihnen ebenso herzlich zugetan war wie sie ihm, stand
dennoch fest, dass ihm nichts vom Familienerbe zufallen würde, wenn Thomas der Ältere starb. Das Land würde entweder an Paul
oder Thomas den Jüngeren gehen. Was blieb ihm also übrig? Er würde ein Handwerk erlernen müssen. Dazu musste er jedoch bei
jemandem in die Lehre gehen, und er hatte nur wenig Lust, das warme, behagliche Haus zu verlassen. Jede Nacht malte er sich
eine graue, verregnete Zukunft in der Stadt aus, fern von den Stiefeltern und von Molly, und dann weinte er. Er weinte auch
um die Mutter, die er niemals kennen, und um die Bildung, die er niemals haben würde. Die Younges waren gütige Menschen, doch
ihre Güte ging nicht so weit, ein Findelkind zur Schule zu schicken. Francis wusste, er würde seinen eigenen Weg gehen müssen.
Doch wo und wie? Und wann?
Um seinen zwölften Geburtstag herum trugen sich gleich mehrere Ereignisse zu. Zunächst lernten Molly und Francis Lesen und
Schreiben. John, der eigensinnigste und aufsässigste Younge-Sohn, hatte beschlossen, nicht mehr zur Schule zu gehen. Stattdessen
verbrachte er seine Tage auf dem Hof und beteiligte sich an der Arbeit, was sie rascher von der Hand gehenließ und den Kindern mehr Gelegenheit zu Schelmereien gab. Francis und Molly zeigten John, wie man zu Pferd den Weg durch
den Wald fand und wo die Wegelagerer aus der Gegend ihre Verstecke hatten, und im Gegenzug brachte er ihnen bei, lateinische
Verben zu konjugieren und diese Verben auch aufzuschreiben. Im Jahr darauf reiste John nach Plymouth ab, um auf einem Handelsschiff
anzuheuern, das seine Fahrt nach Afrika antrat, doch Molly und Francis hatten viel von ihm gelernt. Sie schrieben einander
Briefchen, verfasst in einer eigenartigen Mischung aus lateinischen und erfundenen Wörtern und selbsterdachten Symbolen. Kaum
jemand im Dorf konnte lesen, doch auch die wenigen, die diese Kunst beherrschten, hätten die wunderlichen Texte kaum entziffern
können. Selbstverständlich enthielten sämtliche Briefe die Einzelheiten ihrer Liebeshändel: nicht nur Ort und Uhrzeit des
nächsten Stelldicheins, sondern auch Gedichte und Liebeserklärungen, oft über fünf Seiten hinweg. Während der nächsten zwei
Jahre führte jedes auch ein persönliches Tagebuch. Sie waren beide ganz vernarrt ins Schreiben – nur einander liebten sie
mehr.
An jenem Tag, als Sarah sie beim Küssen im Obstgarten sah, war Molly bereits schwanger, doch keiner wusste davon. Und Sarah
brauchte auch gar nicht mehr zu sehen; sie eilte zutiefst bestürzt nach Hause und erzählte ihrem Vater davon.
Weitere Kostenlose Bücher