Poppenspael
öffnet langsam die Tür. Zwei
Drehstühle stehen mit den Lehnen gegeneinander vor einem
Schreibtisch, darauf sitzen zwei Frauen mit dem Rücken
aneinander gefesselt. Ihre Münder sind mit dicken
Stoffstreifen verschlossen, die am Hinterkopf verschnürt
wurden. Eine der Frauen hat geschwollene Augen, und verkrustetes
Blut klebt an der Nase. Harald Timm schleppt sich zu ihnen
hinüber und zerrt mit seinen steifen Fingern an den Knoten,
bis sie endlich aufgehen.
»Was ist denn
hier passiert?«, fragt er nervös.
Die Frauen sehen
erleichtert und misstrauisch zugleich aus. Sie mustern aus einiger
Distanz den ungepflegten Fremden, der schon von Weitem nach Alkohol
riecht. Ihre Lippen zittern, bei jedem Geräusch fahren sie
erschreckt zusammen und schauen sich unentwegt um.
»Sind die
Männer weg?«, fragt eine der Frauen mit kaum
wahrnehmbarer Stimme. Ihr dunkelblauer Blazer ist von Blutflecken
übersät.
»Ich glaub
schon«, sagt Harald Timm mehr zu sich selbst. »Die
haben mich unten im Flur zusammengeschlagen. Ich glaub, ich war
’ne kurze Zeit ohnmächtig.«
»Wer sind Sie
überhaupt?«, fragt die andere Frau mit der Pagenfrisur,
die sich anscheinend langsam vom ersten Schock erholt. »Und
wie kommen Sie hierher?«
»Ich bin der
Bruder von Petra. Wollt nur mal kurz bei meiner Schwester
reinschaun.«
»Der Bruder der
Chefin?«, fragt die Frau mit dem Blazer ungläubig.
»Von einem Bruder hat sie uns nie etwas
erzählt.«
»Ist sie nicht
da, meine Schwester?«
»Nein, die
Chefin hat mehrere Tage frei genommen.«
»Und wer waren
diese Männer?«
»Das wissen wir
auch nicht«, sagt die Pagenfrisur. »Kurz nachdem wir
heut Morgen hier waren, klingelte es Sturm. Ich dachte, es
wäre ein Kunde, hab den Summer betätigt und die
Bürotür geöffnet. Und dann sind die hier
reingestürmt.«
»Wollten die
Geld?«
»Nein, eben
nicht. Ich wollte ihnen die Scheine, die wir hier liegen haben, ja
geben, aber die Kerle haben uns nur angeschrien, wo die Chefin ist
und wo die Akten der Firma Asmussen stehen. Als wir nichts sagen
wollten, schlug der eine Mann meine Kollegin ins Gesicht, so lange,
bis ich geredet habe. Dann wurden wir gefesselt, und sie sind
abgehaun.«
»Ja, und der
eine hat immer ›Dawai, dawai‹ gebrüllt. Das
waren bestimmt Russen.«
»Dieser Hagere
hat keinen Finger gerührt, hat nur gesagt, was der Muskelmann
machen soll. Ohne Skrupel war der, hat ohne mit der Wimper zu
zucken zugeschlagen. Bevor sie gegangen sind, haben sie gedroht,
sie würden wiederkommen, wenn wir die Polizei
rufen.«
»Die Polizei,
wir müssen die Polizei rufen!«, sagt die
Pagenfrisur.
»Elke, das
meinst du doch nicht ernst! Guck mich doch an! Möchtest du
etwa, dass die uns beim zweiten Mal ganz
umbringen?«
»Und wie stellst
du dir das vor? Stillhalten und so tun, als wäre nichts
passiert? Brigitte, denk nach, und lass uns endlich die Polizei
anrufen.«
Das Wort
›Polizei‹ erzeugt bei Harald Timm instinktiv
Rückzugstendenzen. Während die Frauen mit ihren
Argumenten ringen, schleicht er ohne ein Wort auf den Flur. Doch,
obwohl er sich gewöhnlich so schnell wie möglich aus dem
Staub machen würde, zieht es ihn in den Büroraum seiner
Schwester. Er humpelt den Flur entlang, lugt durch die offene
Tür und tritt hinein. Der Boden ist mit Akten
übersät, die aus dem Aktenschrank gerissen wurden,
mehrere aufgeklappt und durchwühlt. Neben dem Schreibtisch
liegt ein goldener Bilderrahmen mit dem Foto seiner Neffen Peter
und Max. Groß geworden, die beiden, denkt er, hebt ihn auf
und stellt ihn zurück auf die Tischplatte. Wie von selbst
zieht er die Schubladen auf. In der untersten liegen zwei
50-Euro-Scheine. Er schaut sich kurz um, und als er merkt, dass die
Frauen sich immer noch um sich selbst kümmern, greift er
blitzschnell zu und lässt die Scheine in der Hosentasche
verschwinden. Danach humpelt er über den Flur zurück und
steigt die Treppe hinunter.
»Wo wollen Sie
denn hin«, hört er die Stimme von einer der Frauen in
seinem Rücken. »Die Polizei kommt jeden Moment. Die
wollen bestimmt noch mit Ihnen reden!«
»Ich muss
los!«, ruft er, ohne sich umzudrehen und lässt die
Eingangstür hinter sich ins Schloss fallen. Aus der Ferne
schrillt das Martinshorn eines Streifenwagens herüber. Er
kommt in Bewegung, humpelt so schnell er kann durch die
Gartenpforte und ist bereits auf dem Bürgersteig, als der
Streifenwagen auf der Herzog-Adolf-Straße an ihm vorbeirast,
mit quietschenden Reifen vor dem
Weitere Kostenlose Bücher