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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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immer
möglichst schnell vorbeizukommen. Jedes Mal beschleicht ihn
hier das verrückte Gefühl, das Auge des Gesetzes
würde ihn durch die Scheiben beobachten. Dahinter kommt eine
ausgediente Tankstelle, unter deren defekter Überdachung schon
lange keine Zapfsäule mehr steht. Das alte Kassengebäude
ist vollgestopft mit schmuddeligen Secondhand-Klamotten, die zu
Ramschpreisen angeboten werden. An der Bahnunterführung biegt
er rechts in den Zingeldamm und geht auf der Sonnenseite in die
Innenstadt. In einem Monat kann es auf der Straße wieder
ungemütlich werden, stellt er fest. Ein unangenehmes
Herzstechen plagt ihn seit Tagen, dazu Kopf- und
Rückenschmerzen. Genau genommen ging es los, als er seine
Schwester nach einer Ewigkeit zufällig am Eingang zum
Schlossgang getroffen und erfolglos um ein paar Euro angebettelt
hatte.
    Die geizige Kuh, denkt
er grimmig, die schwimmt in Kohle und hat ganz
selbstverständlich ein warmes zu
Hause.    
    Er war ihr an dem
besagten Tag nachgegangen, heimlich in einiger Entfernung. In der
Herzog-Adolf-Straße hatte er gesehen, wie sie ein kleines,
villenähnliches Ziegelhaus betreten hatte. An der Gartenpforte
hing ein blitzblankes Messingschild: Petra Ørsted,
Steuerberaterin. Es hatte ihn mächtig gewurmt, dass sie ein
eigenes Büro aufgemacht hatte und nicht eine müde Mark
für ihren kleinen, gestrauchelten Bruder abdrücken
wollte.
    Harald Timm fällt
das Atmen schwer, der innere Ärger läuft ihm über
die Leber. Als die Ampel hinter dem Schifffahrtsmuseum auf Rot
springt, sieht er das als ein Omen, verwirft die Absicht, sich mit
den Kumpeln im Schlossgang zu treffen, und biegt nach rechts in die
Nissenstraße. Auf dem Außengelände hinter dem
Schifffahrtsmuseum stehen ein riesiger Anker und das Ruderhaus
eines Fischkutters. Harald Timm würdigt die Exponate hinter
dem Holzzaun keines Blickes. Die aufgestauten Worte, die er seiner
Schwester jetzt unbedingt sagen möchte, treiben ihn voran, hin
zu ihrem Steuerbüro. Am Ende der Straße liegt zur
rechten Seite das Finanzamt, ein gedrungener Ziegelbau mit einem
mächtigen Treppengiebel. Er hegt einen tiefen Hass gegen diese
Behörde, die ihm bei seinem Bankrott den Rest gegeben und auf
die Straße gebracht hat. In der kleinen Jugendstilvilla
direkt gegenüber brennt Licht im ersten Stock, aber der Wagen
seiner Schwester steht nicht auf ihrem Parkplatz. Von der
Gartenpforte aus sieht er, dass jemand die Haustür offen
stehen gelassen hat.
    Ich stell mich unten
in den Flur und warte, bis das Schwesterchen kommt, denkt er,
öffnet die Pforte und geht durch die Haustür in den
schmalen Flur, in dem eine steile Treppe in den ersten Stock
führt. Im selben Moment, als er sich auf eine der unteren
Stufen hinsetzt, wird oben die Bürotür aufgerissen. Zwei
Schattengestalten stürzen herunter, mehrere Aktenordner unter
den Armen. Harald Timm will gerade aufstehen, um den Männern
Platz zu machen, da stellt der Muskelprotz seine Ordner auf die
Stufen, und ein mächtiger Hieb trifft seine Nase. Ein
unbeschreiblicher Schmerz reißt ihn von den Füßen.
Er liegt am Boden, spürt etwas Feuchtes über die Lippen
laufen, sieht die blutverschmierte Faust zurückschnellen und
neu ausholen. Seine Hände schnellen zum Schutz vors Gesicht,
doch der zweite Schlag trifft sein Kinn. Es wird schwarz um ihn
herum, er fällt ins Nichts und verliert sein
Bewusstsein.
    Als er zu sich kommt,
ist es wie das Erwachen aus einem traumlosen Schlaf. Sein
Schädel brummt und droht zu zerplatzen. Er liegt mit der Wange
am Boden, bewegt vorsichtig seine Finger, dann die Zehen. Mit etwas
Anstrengung öffnet er die Augen, bemerkt, dass sein Kopf in
einer Blutlache liegt. Von irgendwoher dringt eine klagende Stimme
an sein Ohr. Er setzt seine rechte Hand auf und stemmt den
Oberkörper nach oben. Das Blut ist bereits
zähflüssig. Sein Nacken ist verspannt, eine Schmerzwelle
läuft den Rücken hinab. Er schüttelt den Kopf, sucht
Halt am Treppengeländer und kommt auf die Beine. Das
Stöhnen kommt aus dem ersten Stock.
    »Ist da
jemand?«, ruft er gequält in den Raum.
    Keine Antwort, nur
lautes Stöhnen. Er steigt schwerfällig die Treppe hinauf,
der rechte Fuß schmerzt. Die Bürotür ist nur
angelehnt, der Flur dahinter ist leer, nur eine Tür am anderen
Ende steht sperrangelweit offen. Aktenordner liegen verstreut am
Boden, einige aufgeschlagen und sichtbar durchwühlt. Die
Stimme kommt aus einem anderen Raum auf der rechten Seite. Er
humpelt darauf zu und

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