Poppenspael
Husum hauptsächlich über den Wasserweg.
Vielleicht liegt im Hafen ja gerade irgendwo ein Getreideschiff aus
Russland am Pier.«
»Guter Gedanke,
Jan!«, lobt Colditz. »Stephan, kannst du beim Zoll
anrufen, ob ein russischer Getreidefrachter im Hafen
liegt?«
*
Swensen fühlt
sich zerschlagen, er spürt die Nacht ohne Schlaf mehr in
seinen Knochen, als er sich innerlich eingestehen will. In so einem
Moment wird deutlich, welch enormer Leistungswille ihn unbewusst
antreibt, immer weiter und weiter, hin zu einem Ziel, das
unerreichbar scheint. Polizeibeamter zu sein, das wusste er von
Anfang an, ist ein hartes Brot, und seine 27-jährige
Berufszeit hat ihm das immer wieder bestätigt. Seine ewige
Frage lautet, wie kann ein selbsternannter Weltverbesserer ohne
schlechtes Gewissen einfach eine Pause einlegen? Mit so einer
gigantischen Aufgabe im Nacken kann man nicht einfach innehalten
oder sich der Gleichgültigkeit gegenüber dem zu
bekämpfenden Übel hingeben. Wer damit anfängt, hat
den Kampf schon verloren und beginnt, innerlich
abzustumpfen.
Das Böse ist
schon ein Phänomen, denkt der Hauptkommissar, während er
in sein Büro geht, die Tür demonstrativ hinter sich
schließt und den Computer hochfahren lässt. Böse
Menschen sind nicht einfach auf den ersten Blick zu erkennen. Oft
gelten sie in ihrem Umfeld als grundanständige Bürger.
Doch eine böse Tat sagt nicht automatisch, dass der Mensch
auch böse ist, sonst wäre die gesamte Menschheit
böse. Es gibt keinen Menschen, der noch nie böse
gehandelt hat. Die wahren Bösen erkennt man daran, dass sie
sich im tiefsten Inneren als makellos und völlig schuldlos
empfinden. Ihre kriminelle Handlung hat eigentlich nichts mit ihnen
zu tun, sondern die Schuld dafür liegt irgendwo da
draußen in der Welt, die sie zu so einem Verhalten zwingt.
Der böse Mensch muss in einem steten Paradox leben.
Was hatte Bender noch
zum Paradox gesagt? Um aus der Endlosschleife eines Paradoxons
herauszukommen, muss man aus seinem geschlossenen System springen.
Vielleicht sind Gut und Böse ja gar kein geschlossenes System?
Vielleicht bilden Gut und Böse gar keinen Gegensatz?
Vielleicht wird beides, wie bei Protonen und Neutronen, durch eine
Bindungskraft zusammengehalten, und beides sorgt für die
Instabilität, die unserer Welt erst die nötige
Stabilität gibt.
Swensen bemerkt, dass
seine eigenen Gedanken ihn plötzlich zu überfordern
beginnen, und er ist fast erleichtert, als das Telefon
klingelt.
»Husumer
Polizeiinspektion, Swensen«, meldet er sich
routinemäßig.
»Anna hier! Gut,
dass ich dich erreiche, Jan! In der Zeitung steht, eine Petra
Ørsted soll im Schlosspark von Husum ermordet worden sein.
Sag sofort, dass es nicht stimmt!«
»Die Information
ist leider richtig, Anna!«
»Wirklich Petra
Ørsted, die Steuerberaterin aus
Finkhaushallig?«
»Du kennst die
Ermordete, Anna?«
»Oh nein, wie
furchtbar! Das kann doch nicht sein, am Freitag habe ich noch mit
ihr gesprochen. Ich kann das nicht glauben, Jan, seid ihr euch
wirklich sicher?«
»Woher kennst du
die Frau denn?«
»Ich kenne sie
einfach!«
»Das klingt aber
äußerst merkwürdig. Wieso willst du mir denn nicht
sagen, woher du die Frau
kennst?«
»Weil ich dich
kenne, Jan Swensen.«
»Du kannst das
nicht einfach für dich behalten, Anna, es geht hier um einem
Mordfall!«
»Petra
Ørsted war meine Klientin. Schon das dürfte ich dir
eigentlich gar nicht sagen, Jan. Du musst das unbedingt für
dich behalten, versprichst du mir das?«
»Petra
Ørsted war deine Klientin? So was, dann könntest du uns
bestimmt weiterhelfen, Anna. Alles, was wir über das Leben von
Frau Ørsted in Erfahrung bringen, hilft uns bei der
Aufklärung des Mordes weiter.«
»Schlag dir das
gleich aus dem Kopf, Jan, das geht nicht! Als Psychologin bin ich
an die Schweigepflicht gebunden.«
»Schweigepflicht? Aber deine
Klientin ist tot. Das, was du uns sagen kannst, kann ihr doch jetzt
egal sein.«
»So einfach ist
das nicht, Jan. Die Schweigepflicht geht über den Tod hinaus.
Es geht in einer Therapie ja nicht nur um die eigene Person; die
Familie, Mann, Kinder sind häufig involviert. Das, was mir die
Klientin gesagt hat, ist und bleibt vertraulich. Das gilt auch
gegenüber der Polizei.«
»Das glaub ich
nicht! Die Aufklärung eines Mordes steht doch höher als
deine Schweigepflicht.«
»Nein, lieber
Jan, steht sie nicht! Selbst wenn ihr einen Staatsanwalt dazu
bewegen könnt, meine Räume zu
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