Poppenspael
würfelt eben doch, Amen.«
Die Sargträger
ziehen die Seile unter dem Sarg stramm, Helfer entfernen die
Holzbohlen und der Holzkasten senkt sich langsam hinab in die
Grube. Der Pastor ergreift den bereitgestellten Spaten und wirft,
dem Brauche gemäß, die erste Erde hinab. Dumpf klingt es
aus der Gruft zurück.
»Aus den
Teilchen bist du entstanden, zu den Teilchen sollst du wieder
werden!«, sind die letzten Worte des Pastors, aber kaum sind
sie gesprochen, sieht Swensen von der Kirchhofmauer her etwas
über die Köpfe der Menschen heranfliegen. Er meint erst,
dass es ein großer Vogel sei, aber der Gegenstand senkt sich
und fällt gerade in die Gruft hinab. Mehrere Personen haben
einen Schrei ausgestoßen. Der Pastor hält
unschlüssig den Spaten zum zweiten Wurf in den Händen.
Swensen drängt sich nach vorn und glaubt, beim Blick in das
Grab, seinen Augen nicht zu trauen. Oben auf dem Sarg, zwischen den
Blumen und der Erde, sitzt ein weißer Wollknäuel und
schaut mit traurigen Augen hinauf.
Das ist diese Puppe,
denkt der Hauptkommissar, Seba, das kleinste Schaf der
Welt.
In diesem Augenblick
wirft der Pastor die zweite Scholle in die Gruft. Sie reißt
die kleine Handpuppe aus den Blumen in die Tiefe, wo alles von der
Erde überdeckt wird.
Swensen ist, als
hätte jemand die Erde über ihn geworfen. Trotz
geöffneter Augen ist es stockdunkel um ihn herum. Es braucht
ein wenig, bevor er vom Fenster her einen kleinen Lichtschimmer
wahrnehmen kann. Der Hauptkommissar beugt sich aus dem Bett, greift
nach dem Wecker auf dem Nachtschrank und drückt den Knopf der
kleinen Lampe. Es ist erst 3.17 Uhr. Er lässt sich zurück
aufs Kissen fallen und ist hellwach. Vor seinem inneren Auge taucht
die Szenerie auf dem Friedhof auf. Was ist das gewesen? Er
grübelt ratlos über diese merkwürdigen Traumbilder
nach.
Die kommen von dem
Gespräch mit diesem Puppenspieler. Seine Theorien über
die Quantenphysik haben mich so aufgewühlt, dass meine Psyche
die Bilder aus einem der Puppenspiele noch einmal abgerufen
hat.
Doch je länger er
über den merkwürdigen Traum sinniert, desto
widersprüchlicher wird er für ihn.
Was hatten zum
Beispiel seine Kollegen darin zu suchen? Und dieses Schaf, das in
die Gruft gefallen ist, was könnte das wohl bedeuten? Das
passt doch alles nicht zusammen. Vielleicht solltest du einfach
realisieren, dass alles nur ein Traum gewesen ist. Ein Traum ist
bar aller Logik, Jan Swensen.
Bei dem Versuch,
wieder einzuschlafen, wälzt sich der Hauptkommissar frustriert
im Bett hin und her. Immer wieder tauchen die Bilder aus dem Traum
auf, seine Kollegen am Grab, die offene Gruft mit dem Sarg, dieses
Schaf, das über die Kirchhofmauer geflogen kam, und wie es
dort unten zwischen den Blumen saß und am Ende von der Erde
mit in die Tiefe gerissen wurde.
Dieses Schaf, das auf
den Sarg geworfen wurde, ist aus dem Theaterstück, das Anna
und ich am Sonntag im Husumhus gesehen haben. ›Ursache und
Wirkung‹. Das hatte aber nichts mit Quantenphysik zu
tun.
Swensen schiebt im
Halbschlaf die Teile seiner Überlegungen wie Puzzlestücke
hin und her. Dann fallen ihm die Augen zu und er erwacht erst
wieder, als draußen schon das Konzert der Vögel begonnen
hat.
Ein Bild sagt mehr als
tausend Worte. Dieser Satz spukt durch seinen Kopf, als er auf dem
Weg ins Bad ist. Im Flur muss er sich an halbgepackten
Umzugskartons vorbeischlängeln. Sie erinnern ihn an das immer
näher rückende Desaster, auf das er unaufhaltsam
zusteuert, wenn er die Sache nicht bald in die Hände nimmt.
Außerdem fällt ihm auf, dass Anna sich überhaupt
nicht mehr rührt. Swensen dreht die Dusche auf Heiß,
doch seine unangenehmen Gefühle werden damit nicht
weggespült.
Höchste Zeit,
dich zu sortieren, sonst verfranst du dich völlig, spricht
seine innere Stimme beim Abtrocknen zu ihm. Selbst wenn es schon
spät ist, solltest du noch meditieren, bevor du zur Arbeit
gehst.
Er geht ins
Wohnzimmer, greift ein Sofakissen, weil er sein Sitzkissen bereits
in Annas Haus gebracht hat, nimmt, so gut es geht den Lotussitz ein
und schließt die Augen.
Einatmen,
ausatmen.
Da ist es wieder, das
Schaf aus der Gruft. Ihm fallen die Worte seines Meisters ein, der
einmal davon sprach, wie man Träume in Meditation umwandeln
könne.
»Unsere
Träume sind Zwischenzustände, die sich zwischen
Wachbewusstsein und Tiefschlaf abspielen«, spricht seine
erklärende Stimme. »In den meisten Fällen sind es
die alltäglichen Handlungen, die unsere
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