Poppenspael
sind.«
Das Gesicht von Ulrich
Rebinger verfärbt sich puterrot. Er zieht seine Schultern
zusammen, drückt den rechteckigen Kopf herab, sodass sein
Doppelkinn noch deutlicher hervorquillt.
»Jan, bist du
von allen guten Geistern verlassen?«, zischt Heinz
Püchel mit scharfer Stimme dazwischen. »Wir ermitteln
hier nicht in deinem persönlichen Mordfall!«
»Bleib bitte
ganz ruhig, Heinz! Noch ist ein Staatsanwalt ein Mensch wie jeder
andere auch.«
»Aber
Staatsanwalt Rebinger dürfte von vornherein über jeden
Verdacht erhaben sein, oder hast du auch nur den geringsten
Hinweis, der deine Vorgehensweise rechtfertigt?«
»Verstehe, alle
Menschen sind gleich, nur ein Staatsanwalt ist gleicher? Und wo
setzt du die Grenze, Heinz? Ist Dr. Keck vielleicht auch über
jeden Verdacht erhaben? Dann rate ich dir, gleich eine Liste
aufzustellen, gegen wen wir jetzt ermitteln und gegen wen wir nicht
ermitteln dürfen!«
»Musst du immer
gleich alles so dramatisieren, Jan? Dir verbietet doch niemand,
allen konkreten Hinweisen nachzugehen. Da sind wir uns hier alle
einig, oder, Ulrich? Es geht nur um die Art und Weise! Mehr
Fingerspitzengefühl, Jan, es geht nur um mehr
Fingerspitzengefühl!«
»Ich finde, dass
hier etwas hinter unserem Rücken abläuft, das zum Himmel
stinkt. Wir erfinden unsere Ermittlungsergebnisse schließlich
nicht. Wenn hier etwas vertuscht werden soll, kannst du dafür
meinetwegen die Verantwortung übernehmen, Heinz. Aber ich
mache bei diesen Spielchen nicht mit. Ich werde meine Ermittlungen
in meinem Stil weiterführen, und wenn dabei wieder der Name
Rebinger auftaucht, werde ich auch weiterhin unangenehme Fragen
stellen. Wenn dir das nicht passt, kannst du mich ja von dem Fall
abziehen. Aber Vorsicht, das Echo solltest du dann ebenfalls
abkönnen.«
*
Ein letzter
Lichtstrahl fällt über die Spitzgiebel der alten
Herrenhäuser in die schmale Gasse, trifft auf ein blaues
Emailleschild und lässt die weißen Buchstaben
erglänzen. Totengang. Swensen liest es im Vorbeigehen und eilt
über das Kopfsteinpflaster in Richtung Westfriedhof. Auf das
Gelände, das von einer Ziegelmauer umzogen ist, führt ein
Sandweg durch eine weit geöffnete Flügeltür. Die
gusseisernen Verzierungen zeichnen sich wie Scherenschnitte vor dem
tiefblauen Abendhimmel ab. Mehrere Personen in schwarzen
Anzügen streben auf eine kleine Menschengruppe zu, die sich um
einen blumengeschmückten Sarg versammelt hat. Der Totenschrein
steht auf zwei Holzbohlen, die über eine ausgehobene Grube
gelegt wurden. Hauptkommissar Swensen findet einen freien Platz
direkt hinter dem Geistlichen, der mit der aufgeschlagenen Bibel in
der Hand am Rande der Gruft steht.
»Der Herr ist
mein Hirte, mir wird nichts mangeln«, spricht er gerade aus
dem 23. Psalm. »Er weidet mich auf grünen Auen und
führet mich zu stillen Wassern. Und wenn ich auch wandere im
finsteren Tal, so fürchte ich kein Unglück; denn du bist
bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.«
Swensen hebt
verschämt den Kopf und lässt seinen Blick vorsichtig
über die Gesichter der Anwesenden streifen. Direkt
gegenüber steht Peter Hollmann, neben ihm Stephan Mielke,
Rudolf Jacobsen und Silvia Haman. Etwas abseits von der Gruppe,
unter einer mächtigen Eiche, glaubt er Susan Biehl zu
erkennen, die einen schwarzen Schleier über ihr Gesicht
gezogen hat. Verwundert entdeckt er zu seiner Linken die beiden
Puppenspieler Peter Pohlenz und Marcus Bender.
»Liebe
Trauergäste«, eröffnet der Pastor seine Predigt,
»wir haben uns hier versammelt, um Abschied zu nehmen,
Abschied von Schrödingers Katze. Gott möge ihrer Seele
gnädig sein, auf dass sie endlich die Ruhe findet, die sie
sich redlich verdient hat.
Als im Jahre 1927 die
Physik ihre Unschuld verlor und das Uhrwerk-Universum von Isaac
Newton zu ticken aufhörte, erblicktest du als eine Ausgeburt
von Erwin Schrödinger das Licht der Welt. Er sperrte dich in
eine Holzkiste, ließ ein Elektron, das sofort zur
Wahrscheinlichkeitswelle wurde, hinein, sodass du ab da in einer
halb toten und halb lebendigen Daseinsform dahinvegetieren
musstest. Bis heute ist dein Schicksal strittig. Seit deinem
unglücklichen Leben kann die Physik nicht mehr eindeutig
vorhersagen, wie sich unser Universum in Zukunft entwickeln wird.
Sie kann nur noch dessen Wahrscheinlichkeit angeben, und solange
sich an deinem Zustand nichts Gravierendes ändert, werden wir
dich jetzt für immer in diesem schwarzen Loch verschwinden
lassen. Gott
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