Poppenspael
ist spät
dran, stellt sie fest, und wartet an der Schlosspforte. Die Zeit
verstreicht, ohne dass sich etwas rührt.
Es sind noch 101
Stunden bis zu den Morden.
Jetzt könnte sie
langsam aufkreuzen, sagt ihre innere Stimme ungeduldig,
während sie auf die Uhr guckt.
Die Schiebetür
des Kleinbusses wird wie von Geisterhand aufgezogen und Ronja
klettert mit einem fremden Mann aus dem Innenraum. Sie sieht, dass
ihre Freundin beiläufig ihr Kleid zurechtzupft, hört ihr
schrilles Lachen, obwohl sie über 20 Meter entfernt steht. Die
Situation ist an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. Susan will
sich kurzerhand hinter den Ziegelpfeiler der Schlossmauer
verdrücken, aber Ronja winkt ihr wild zu und fordert sie mit
einer Handbewegung auf, doch herüberzukommen. Etwas unwillig
macht sich die Sekretärin auf den Weg.
»Susan, das ist
Peter Pohlenz! Peter, das ist Susan Biehl!«
»Freut mich,
dich kennenzulernen, Susan«, sagt der hoch gewachsene Mann
und strahlt sie aus seinen großen, eng zusammenstehenden
Augen an. »Ich darf doch Susan zu dir
sagen?«
»A… aber
klar doch«, haucht sie verlegen.
»Peter macht die
Eröffnungsvorstellung, ›Bulemanns Haus‹ von
Storm«, erklärt Ronja und deutet in das Innere des
Wagens. »Er hat mir nur kurz seine tollen Puppen
vorgeführt. So etwas Fantastisches hast du noch nicht
gesehen!«
Wie macht sie das nur,
mokiert sich Susan im Stillen und mustert den schlanken Mann etwas
neidisch von der Seite. Sonnengebräunt, Dreitagebart,
dominante Stirn und diese bernsteinfarbenen Augen, nicht übel
der Kerl! Irgendwie gemein, ich schlag mich jahrelang mit meiner
Beziehung rum, völlig nutzlos, und Ronja lässt nichts
anbrennen.
»Wir müssen
leider los, es steht noch eine Teambesprechung an«,
verabschiedet sich Ronja und drückt Peter Pohlenz einen
flüchtigen Kuss auf die Wange. »Wir sehen uns morgen
Nachmittag. Ich ruf dich auf dem Handy an. Bis
dann!!«
»Ja,
tschüss«, piepst Susan, während Ronja sie an der
Schulter packt und vorwärts drängt.
*
Im Erichsenweg, direkt
gegenüber vom Kreiskrankenhaus, steht ein hässlicher
Wohnklotz, dessen Betonfassade in öden Grautönen
gestrichen wurde. Das sechsstöckige Hochhaus kann mit
Sicherheit auf die Liste Bausünden verbucht werden, selbst die
bunten Blumenkästen auf den Balkonen können dem nichts
mehr entgegensetzen. Den leer stehenden Eckladen im Erdgeschoss
haben die Frauen vom Förderkreis vor Kurzem gemietet und
provisorisch zum Treffpunkt hergerichtet. Spätestens im
nächsten Jahr soll hier das neue Pole-Poppenspäler-Museum
eröffnet werden.
Frieda Meibaum hatte,
angeregt durch die Pole-Poppenspäler-Tage, jahrelang
unterschiedlichste Marionetten und Handpuppen zusammengetragen. Die
meisten waren von den Puppenspielern gekommen, die hier in Husum
auf dem Festival aufgetreten waren. Frieda besaß die
bestechende Art, offen auf Menschen zuzugehen und sie von ihrem
Anliegen zu überzeugen. Einmal entlockte sie einem alten
Puppenspieler, der bald in Rente gehen wollte, sogar das gesamte
Puppenensemble mitsamt der Bühnenkulisse. Ihre mittlerweile
stattliche Sammlung bildet den Grundstock für das geplante
Museum.
»Mussten denn
unbedingt solche Räume angemietet werden? Ein unattraktives
Ambiente, finde ich!«, stichelt eine elegant gekleidete Frau,
eingehüllt in eine süßliche Parfümwolke und
mit dickem Make-up im schildförmigen Gesicht. »Husum hat
doch weitaus schönere Häuser als gerade diesen
Betonwürfel zu bieten. Und der schlauchförmige Laden
hier, grauslich.«
Im selben Moment
setzen sich Susan Biehl und Ronja Ahrendt in die versammelte Runde.
Die Sekretärin sieht die mollige Frau zum ersten Mal und
ordnet sie spontan in die Sorte von Ehrenamtlichen ein, die noch
kurz vor Beginn der Pole-Poppenspäler-Tage dazustoßen,
um selbstherrlich mit im Blickpunkt der Öffentlichkeit zu
stehen. Bei denen, die kontinuierlich dabei sind, sind sie zwar
verpönt, aber bei der anfallenden Arbeit kann auf keine
helfende Hand verzichtet werden. Hanna Lechner treibt das
provokante Gerede der aufgedonnerten Frau die Falten auf die Stirn.
Der Lehrerin ist anzumerken, dass sie sich zusammenreißen
muss, um freundlich zu bleiben.
»Wir sind
natürlich für jede wohlgemeinte Kritik offen, liebe Frau
Keck, aber ein Ambiente, das Ihnen vielleicht zusagen würde,
ist dummerweise …!«
»… immer
eine Frage des Geldes!«, ergänzt eine markante Stimme
von der Seite. In der geöffneten Eingangstür steht
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