Poppenspael
diese sich unter ihren Rädern entgegendreht.
Patt! Der Zug befindet sich in voller Fahrt und gleichzeitig steht
er bewegungslos auf der Stelle.
*
Das milde Aroma von
geröstetem Arabica-Kaffee steht in der kleinen
Küchenzeile. Susan Biehl schüttet frische Bohnen in die
neue Kaffeemühle. Ihre hellblauen Augen blicken abwesend gegen
die weiße Wand. Ihre Gesichtsfarbe ist blass, fast
durchscheinend. Der knallrot geschminkte Mund steht im krassen
Gegensatz zum hellen Teint, verleiht der jungen Frau die Anmutung
einer blondhaarigen Geisha. Mit dem Lippenstift wollte die
Sekretärin ihre unangenehmen Gefühle
übertünchen. Kaffeekochen für die Kollegen ist ihre
zweite Variante, um zu verdrängen. Zumindest das Mahlen der
Bohnen gibt ihr eine gewisse Befriedigung, denn sie hatte
dafür gesorgt, dass die neue Kaffeemühle, selbst gegen
den Widerstand einzelner Kollegen, angeschafft wurde. Drei Monate
penetrantes Genörgel waren nötig gewesen, genauso lange,
wie die letzten Handwerker brauchten, um die restlichen Arbeiten im
Gebäude zu beenden.
Fast ein Jahr lang war
die Husumer Inspektion grundsaniert worden. Vor drei Monaten
konnten Polizei und Kripo aus ihrem Ausweichquartier mit den engen
Räumlichkeiten, Spottname Container, ausziehen. Alle waren
heilfroh, den zunehmenden Spannungen untereinander, den dieser
Notbehelf verursacht hatte, endgültig zu entkommen. Das alte
Polizeigebäude mit den gewohnten Dienstzimmern erstrahlte im
frischen Glanz. Den Neustart hatte Susan Biehl dazu genutzt, die
ewig dreckig aussehende Kaffeemaschine auszurangieren und endlich
echte Kaffeekultur auf der Dienststelle
einzuführen.
»28 und eine
neue Ära beginnt!«, hatte sie ihr Vorhaben in der
Kollegenrunde angekündigt.
»28 für
eine Kaffeemühle?«, hatte Kollege Jacobsen mit
nörgligem Unterton gemosert.
»Das ist keine
dieser Allerweltsmühlen. Die Billigdinger haben bloß ein
Schlagmesser. Da wird der Kaffee beim Mahlen praktisch
überhitzt. Die Mühle, die ich im Auge habe, hat ein
Kegelmahlwerk.«
»Kegelmahlwerk?
Wir sind eine deutsche Polizeistation und keine italienische
Espressobar!«
Der lässt
wirklich keine Gelegenheit aus, um seine blöde
Deutschtümeleien abzusondern, hatte Susan Biehl innerlich
gegrummelt, aber spontan gekontert: »Bravo, Herr Jacobsen!
Immer schön nach der Devise: Mitbürger, kauft nur in
Deutschland angebauten Kaffee!«
Er hatte sie nur
konsterniert aus seinen kleinen, zusammengekniffenen Augen
angeschaut, aber kein Wort mehr dazu gesagt.
Das verdutzte Gesicht
des Kollegen amüsiert Susan Biehl, während sie
heißes Wasser in den Kaffeefilter gießt. Einen kurzen
Moment ist ihr mieses Gefühl vergessen.
»Prima, du
kochst gerade ’ne Kanne«, sagt Karin Paasch, die
Sekretärin von Polizeirat Püchel, »dann kann ich ja
gleich zwei Becher für den Chef abstauben, oder? Staatsanwalt
Dr. Rebinger hat sich nämlich
angesagt!«
»Klar
doch«, säuselt Susan kaum hörbar.
»Ist was,
Susan?«, fragt Karin Paasch. »Du siehst irgendwie
schlecht aus.«
Susan Biehl dreht
erschrocken ihr Gesicht zur Seite. Wie von selbst rollt eine
Träne die Wange hinunter. Karin Paasch legt ihrer Kollegin
sanft die Hand auf die Schulter,
»Hey, Susan, was
ist los?«
»Nichts!«
»Nun komm schon,
schütt dein Herz aus!«
»Frank …,
Frank hat Schluss gemacht!«, Susans Singsangstimme gibt der
Situation eine groteske Note.
»Was, wieso das
denn?«
»Keine Ahnung,
aus heiterem Himmel, vor zwei Wochen!«
»Na, irgendwas
musst du doch geahnt haben.«
»Nein, ehrlich
nicht«, schluchzt Susan hemmungslos. »Das behältst
du aber für dich, das musst du versprechen!«
»Versprochen!« Karin
Paasch kramt ein Papiertaschentuch hervor und reicht es ihr mit den
Worten: »Männer! Da müssen wir alle mal durch. Auch
wenn’s jetzt doof klingt, aber es gibt
andere.«
Susan Biehl wischt
sich mit dem Taschentuch die Augen und gießt Kaffee in die
mitgebrachten Becher der Kollegin.
Mit einem »Kopf
hoch, Mädchen!« trottet Karin Paasch davon. Susan blickt
der Kollegin erleichtert nach, ist froh, dass die peinliche
Situation vorbei ist. Sie wäscht ihre Augen mit kaltem Wasser,
gießt einen Kaffee aus der Thermoskanne in ihre Tasse und
eilt an ihren Schreibtisch zurück. Abwesend tippt sie das
Sitzungsprotokoll der Frühbesprechung in den Computer. Die
Zeit zieht sich wie Kaugummi in die Länge. Den alten
Arbeitsplatz hinter der Rezeption mochte sie lieber, der wurde aber
nach der Sanierung
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