Poppenspael
bei ihr eine dunkle Angst hinterlassen, die
nicht wieder verschwinden wollte.
Petra Ørsted
liegt noch immer mit geschlossenen Augen im Bett, sieht, wie sie
sich im Bürostuhl nach hinten kippen lässt und nach einem
der dicken Leitzordner greift. Sie sieht, wie sie die Belege
durchblättert, ihre Finger über die Tastatur des
Taschenrechners fliegen. Sie addiert die höheren Tonnenzahlen
aus dem letzten Jahr mit dem gestiegenen Schiffsaufkommen in diesem
Jahr und drückt die Enter-Taste. Die Endsumme auf dem Display
würgt ihr die Luft ab. Die simple Rechenaufgabe zeigt ihr mit
einem Blick das schonungslose Ausmaß des Betrugs. 18.000
Tonnen im Wert von über 2 Millionen Euro könnte die Firma
Asmussen in diesem Jahr an den Büchern vorbei ins Land
geschafft haben, aber wahrscheinlich ist die Summe noch
größer!
Sie will, dass dieser
Albtraum im Wachzustand ihr keine Angst mehr macht, öffnet
endgültig die Augen und hockt sich auf die Bettkante. Erst
jetzt stellt sie fest, dass Sörens Laken unbenutzt ist. Er ist
in der Nacht nicht von der Verkaufstour
zurückgekommen.
Das ist wieder
typisch, denkt sie verstimmt, hält es nicht für
nötig anzurufen, wenn er es nicht nach Hause schafft. Schon
wieder ein teures Hotelzimmer, bei diesem miesen Job, da springt am
Ende kaum noch was raus.
Mürrisch setzt
Petra Ørsted ihre Beine auf den Boden und schlurft ins
Badezimmer, aber selbst die Dusche bringt sie nicht aus ihrem
Stimmungstief. In all die Dinge, die in letzter Zeit schiefgelaufen
sind, reiht sich auch noch der gestrige Abend nahtlos ein. Nicht
nur, dass es richtig spät geworden war nach der Vorstellung im
Dante, selbst die ausgelassene Stimmung wurde zusätzlich von
Frieda Meibaum getrübt. Sie hatte sich über alle
Maßen über Wiktor Šemik geärgert, der nach
seinem grandiosen Erfolg, mit brausendem Beifall im Husumhus, es
nicht für nötig gehalten hatte, auf ein
Viertelstündchen bei ihnen vorbeizuschauen. Alle mussten
ellenlang ihren Unmut über sich ergehen lassen, nur bei Hanna
Lechner stieß sie mit ihrem Genörgel gegen eine
Mauer.
»Komm bloß
nicht mit deinem Ärger über Wiktor Šemik zu
mir«, hatte Hanna sie sofort gestoppt. »Du bist es
gewesen, die diesen Egomanen unbedingt auf unserem Festival haben
wollte. Von all meinen Warnungen wolltest du schließlich
nichts hören, meine Liebe!«
Typisches
Stutenbeißen, erinnert sich Petra Ørsted und ist immer
noch verwundert über die massive Erregung von Hanna. Da muss
doch irgendeine unausgesprochene Rivalität zwischen den beiden
laufen.
Die Steuerberaterin
öffnet den Kleiderschrank und entscheidet sich für einen
eleganten Hosenanzug. Vor dem Spiegel wirkt der golddurchwirkte
Stoff des Blazers zwar etwas aufgedonnert, doch nach kurzem
Abwägen schiebt sie ihre Bedenken als haltlos
beiseite.
Petra Ørsted
hat noch 15 Stunden zu leben.
Als sie die Treppe
herabkommt, stürmt ihr Ältester mit einem Brötchen
in der Hand aus der Küche und will sich gerade durch die
Haustür verdrücken.
»Halt, stopp,
Freundchen!«, ruft sie mit energischer Stimme. »Ich hab
noch ein Wörtchen mit dir zu reden!«
»Ich muss los,
sonst komm ich zu spät zur ersten Stunde«, mault Peter
Ørsted.
»Du bleibst
hier, wenn ich mit dir sprechen will«, befiehlt sie und
stellt sich vor die Haustür. »Ich will sofort wissen,
was da zwischen dir und deinem Englischlehrer
abläuft!«
»Mit Werner?
Nichts!«
»Willst du mich
für dumm verkaufen, Peter?«
»Nein! Ich
weiß nicht, was du von mir willst, Mama!«
»Herr Werner hat
mich gestern unter der Hand angesprochen, dass in der Schule ein
Gerücht kursiert und dass du ihn zu Unrecht beschuldigt
hast?«
»Ich? Wie kommt
der denn da drauf?«
»Peter,
rück endlich mit der Sprache raus! Ich weiß bereits
alles!«
»Wenn du alles
weißt, was willst du dann von mir?«
»Verdammt,
Junge, es ist kein Scherz, jemanden einer Straftat zu beschuldigen.
Wenn du dir da was ausgedacht hast, dann sag das
sofort!«
»Ich hab Augen
im Kopf! Dieser Werner hat Melanie angemacht, hundert pro,
Mama!«
»Junge,
weißt du genau, was du da sagst? Das kann deinen
Englischlehrer die Stelle kosten, ihn ins Gefängnis
bringen.«
»Da gehört
er auch hin!«
»Wer ist denn
diese Melanie Ott?«
»Eine aus meiner
Klasse.«
»Ja, und? Kennst
du sie gut, seid ihr befreundet?«
Peter Ørsted
weicht dem Blick seiner Mutter aus. Er tritt unruhig von einem Bein
aufs andere. Die Hände streichen fahrig über
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