Populaermusik Aus Vittula
kirchengeschichtliche Schriften auf Schwedisch und Finnisch eine Reihe nach der anderen. Ich hatte noch nie so viele Bücher auf einmal gesehen, außer in der Schulbibliothek im Dachgeschoss der Gamla Skolan. Irgendwie hatte es etwas Unnatürliches an sich, war direkt unangenehm. Viel zu viele Bücher. Wer sollte die alle lesen? Und warum standen sie hier, versteckt im Schuppen, als ob man sich ihrer schämen müsste?
Niila öffnete seine Schultasche und zog das Lesebuch über Li und Lo heraus. Unsere Hausaufgabe war es, ein Stück darin zu lesen, und er blätterte mit seinen unachtsamen Jungsfingern die Seite auf. Konzentriert begann er Buchstabe für Buchstabe zu entziffern und sie mit unendlicher Mühe zu Worten zusammenzuziehen. Dann ermüdete er und klappte das Buch mit einem Knall zu. Anschließend, bevor ich es überhaupt richtig begriff, warf er es mit aller Wucht die Treppe hinunter. Es landete so, dass die Ecke vom Buchrücken auf den groben Bodenplanken umknickte.
Ich sah Niila zögernd an. Er lachte, hatte rote Flecken auf den Wangen, sah mit seinen langen Eckzähnen wie ein Fuchs aus. Dann nahm er aus dem gewaltigen Bücherregal einen Katechismus, ein ziemlich kleines Ding mit weichem Umschlag. Wütend warf er auch ihn hinunter. Die dünnen Seidenpapierblätter raschelten wie Laub, als er auftraf. Ihm folgten sogleich ein paar Gesammelte Schriften, braune, schwere Klumpen, die mit kurzem Knacken im Rücken brachen.
Niila sah mich aufmunternd an. Ich spürte, wie mein Herz schneller zu schlagen begann und ergriff auch ein Buch. Zog es heraus und sah, wie es mehrere flatternde Seiten verlor, bevor es in eine rostige Egge fiel. Das sah unglaublich komisch aus. In steigender Ekstase zerrissen wir immer mehr Bücher, feuerten uns gegenseitig an, warfen wirbelnde Rauten, versetzten ihnen kräftige Fußballtritte, dass die Seiten wirbelten, und lachten, dass uns die Luft wegblieb, während die Reihen sich leerten.
Plötzlich stand Isak da. Breitschultrig wie ein Ringer, stumm und schwarz. Nicht ein Wort, nur grobe, fleischige Finger, die zitternd den Gürtel aus den Schlaufen zogen. Mit einer raschen Geste schickte er mich fort. Ich huschte wie eine Ratte die Treppe hinunter und hinaus. Aber Niila blieb dort. Als die
Scheunentür hinter mir zufiel, hörte ich, wie Isak anfing zu schlagen.
Für einen Moment hebe ich den Blick von dem Schreibblock, den ich in Nepal angefangen habe. Der Pendelzug nähert sich Sundbyberg. Morgendämmerung, der Geruch feuchter Mäntel. In meiner Aktentasche liegt mein Lehrerhefter mit fünfundzwanzig korrigierten Schulaufsätzen. Februarmatsch und mehr als vier Monate bis zum Markt von Pajala. Ich schaue verstohlen durch das Zugfenster hinaus. Hoch über Huvudstaleden fliegt eine Schar Dohlen, immer rundherum in einem aufgeregten Kreis.
Mein Blick wendet sich wieder Tornedalen zu. Kapitel fünf.
KAPITEL 5
- über unschlüssige Winterkriege, Prügelketten und die Kunst, einen Skihang festzutrampeln.
Jeden Tag, wenn die Nähschule ihre letzte Stunde gehabt hatte, kamen Horden sechzehn-, siebzehnjähriger Mädchen an unserem Haus vorbei. Süße Bräute. In den Sechzigern gab es ja reichlich Mascara und falsche Wimpern, Supermini und enge Plastikstiefel. Niila und ich machten es uns zur Gewohnheit, auf die Schneewehen vor unserem Haus zu klettern und die Mädchen zu beobachten. In kleinen Grüppchen kamen sie plaudernd an uns vorbei, ohne Mütze, wie kalt es auch immer war, um ja nicht die Frisur zu zerstören. Sie rauchten wie die Schlote und hinterließen eine eklig-süße Duftmischung aus Aschenbecher und Parfüm, die ich noch heute mit Begierde verbinde. Manchmal grüßten sie uns. Das war uns jedes Mal ungemein peinlich, und wir taten dann so, als bauten wir eine Schneeburg. Man hatte ja schon als Siebenjähriger ein gewisses Interesse. Es als Geilheit zu bezeichnen, wäre vollkommen falsch, es war eher eine klammernde Sehnsucht. Ich hätte gerne mit ihnen geknutscht, wäre ihnen gern nahe gewesen. Hätte mich wie ein Kätzchen an sie geschmiegt.
Wie auch immer, jedenfalls fingen wir an, sie mit Schneebällen zu bombardieren. In erster Linie, damit sie uns als richtige Männer ansahen, nehme ich an. Und erstaunlicherweise funktionierte das. Diese hochaufgeschossenen sechzehnjährigen Walküren flohen wie die Rentiere, quiekend und schreiend und hielten ihre Schminktäschchen zum Schutz hoch. Sie gerieten total aus dem Häuschen. Obwohl wir doch nur leicht
Weitere Kostenlose Bücher