Populaermusik Aus Vittula
zusammengedrückte Bälle warfen, die nur selten trafen, weiche Schneefetzen, die wie dicke Handschuhe niederrieselten. Aber das genügte, um ihnen zu imponieren. Wir waren eine Streitmacht, mit der man rechnen musste.
Das ging ein paar Tage lang so weiter. Sobald wir aus der Schule nach Hause kamen, stellten wir gleich einen Vorrat an Schneebällen her. Wir fühlten uns wie die Winterkrieger von Vittulajänkkä, zwei vernarbte Veteranen im Kampfauftrag auf einem fremden Kontinent. Schon die Erwartung verursachte ein Prickeln. Die Kämpfe brachten uns Genüssen näher, die wir bisher nur erahnten. Mit jeder Schlacht schwollen unsere Hahnenkämme weiter an.
Da kam die Mädchenherde. Mehrere Grüppchen in unterschiedlichen Zusammensetzungen, jeweils zwischen fünf und zehn Stück. Wir hockten uns hinter die Schneewälle, während sie sich näherten. Unser Plan war genau durchdacht. Wir ließen immer die erste Gruppe vorbei, dann warfen wir ihnen ein paar Bälle in den Rücken, worauf die anderen Gruppen vor uns anhielten. Wir verbreiteten Furcht und Panik. Und ernteten natürlich Bewunderung für unsere männliche Tatkraft.
Wir warteten in der Hocke. Hörten, wie sich die Mädchenstimmen näherten, das Husten beim Rauchen, Kichern. Genau im richtigen Augenblick erhoben wir uns. Jeder mit seinem Schneeball in der rechten Faust. Wie zwei erzürnte Wikinger sahen wir die Mädchen schreiend davonstieben. Wir wollten gerade jeder noch einen Nachzügler in die Horde werfen, als wir plötzlich entdeckten, dass eines der Mädchen stehen geblieben war. Nur ein paar Meter entfernt. Mit langem blondem Haar, getuschten, schwarzen Augen. Sie starrte uns wütend an.
»Wenn ihr noch einen Ball schmeißt, schlage ich euch tot«, zischte sie. »Ich verprügle euch, dass ihr nicht mehr laufen könnt, ich trete euch die Fresse ein, dass eure Mütter anfangen zu heulen, wenn sie euch sehen ...«
Erstarrt ließen Niila und ich unsere Bälle sinken. Das Mädchen warf uns einen letzten furchterregenden Blick zu, dann drehte sie sich um und folgte ihren Freundinnen.
Niila und ich rührten uns nicht von der Stelle. Wir sahen uns nicht an. Zurück blieb nur das Gefühl eines riesigen, unangenehmen Missverständnisses.
Die Kindheit jedes Jungen in Pajala war von Prügelketten geprägt. Durch sie wurde das Machtgleichgewicht zwischen den Jungen des Ortes geregelt. Man wurde schon als fünf-, sechsjähriger Bursche mit hineingezogen und verließ sie so mit vierzehn, fünfzehn.
Die Prügelketten entstanden ungefähr folgendermaßen: Ein paar kleine Jungs begannen sich zu streiten. Anders schlug Nisse, und Nisse fing an zu heulen. Ich will mich nicht in die Gründe des Streits vertiefen, eventuelle frühere Zwistigkeiten oder weit zurückliegende Familienfehden. Ein Junge hat ganz einfach einen anderen verprügelt - und beide sind anschließend nach Hause gegangen. Und so fängt die Kette an.
Der Verprügelte, also Nisse, erzählt sofort seinen beiden älteren Brüdern von der Sache. Einer der großen Brüder geht in die Stadt und hält die Augen offen, und sobald er Anders entdeckt, vertrimmt er ihn nach Strich und Faden. Anders geht heulend zu seinem eigenen vier Jahre älteren Bruder nach Hause, der wiederum in die Stadt geht und die Augen offen hält. Das nächste Mal, wenn der Bruder entweder Nisse oder Nisses Bruder sieht, verdrischt er ihn ausgiebig und überschüttet ihn mit Drohungen. (Könnt ihr noch folgen?) Nisses fünf Jahre älterer, fast erwachsener Cousin bekommt eine kurze Zusammenfassung der ganzen Geschichte geliefert und verprügelt Anders’ Bruder, Anders selbst sowie ein paar Kumpel, die mit ihnen als Leibwache in die Stadt gegangen waren. Der sechs Jahre ältere große Bruder von Anders beiden Freunden geht darauf in die Stadt und hält die Augen offen. Nisses übrige Brüder, Cousins und andere männliche Verwandten bekommen eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse geliefert, darüber, wer wen verprügelt hat und in welcher Reihenfolge, das Gleiche findet auf Anders’ Seite statt. Übertreibungen in den Beschreibungen sind üblich. Achtzehnjährige Cousins mehrerer Grade und sogar Väter bekommen eine energische Aufforderung, die Jungen zu unterstützen, erklären jedoch, auf den Streit der Kleinen zu pfeifen.
So ging es immer weiter. In die allerlängsten Prügelketten wurden Klassenkameraden, Nachbarn und alle möglichen Freunde mit hineingezogen, und das vor allem, wenn die ursprünglichen Kombattanten aus
Weitere Kostenlose Bücher