Populaermusik Aus Vittula
hindurch, sein Kopf war mit einer Schneemütze bedeckt. Bald ließen wir die Straßenlaternen hinter uns, aber es wurde dennoch nicht stockfinster. Das Licht wurde von Abermillionen von Eiskristallen reflektiert, die über dem Boden zu schweben schienen. Langsam gewöhnten die Augen sich daran. Unterhalb von uns öffnete sich der Hügel, lang und steil hinab zum Fluss hin. Aber es war unmöglich, dort Ski zu fahren, da der ganze Hang mit einer schenkeldicken weichen Schneedecke bedeckt war. Wir stellten unsere Skier parallel und begannen zu trampeln. Skibreite für Skibreite arbeiteten wir uns den Abhang hinunter. Stampften den Schnee zusammen, drückten ihn mit dem Gewicht unserer Jungskörper zusammen zu einer Abfahrtsrinne zwischen den Schneemassen, den ganzen Hügel hinunter bis auf das Flusseis. Seite an Seite arbeiteten wir, während der Schweiß unter unseren Kleidern lief. Und als wir endlich unten waren, kehrten wir um. Stapften den gleichen Weg wieder hinauf, mit sturer Beharrlichkeit in unserer eigenen Spur. Stampften den Schnee noch fester zusammen, machten ihn so eben und hart, wie wir konnten.
Und endlich haben wir es geschafft. Wir sind nach einer ungemein anstrengenden Arbeit wieder am Ausgangspunkt angelangt. Die Beine zittern, die Lunge hebt sich, aber unter uns liegt der fertiggestampfte Abhang. Eine breite, glatte Straße aus Tausenden von Skistapfern. Wir stellen uns nebeneinander, Niila und ich. Spähen hinunter ins Dunkel. Der Hügel führt hinab in eine verschwommene, dunkle Traumwelt, verschwindet wie die Angelschnur in einem Eisloch. Undeutliche Schatten, stille Bewegungen in der Tiefe. Ein dünner Faden hinunter in die Träume. Wir werfen uns einen Blick zu. Dann beugen wir uns vor, stoßen uns mit den Bambusstäben ab. Genau gleichzeitig schießen wir vor.
Wir sind losgekommen. Gleiten dahin. Sausen immer schneller in die Nacht hinein. Das Fauchen. Die Kälte, die an den Wangen brennt. Zwei dampfende Jungen, zwei frisch gekochte Blutklöße, in die Gefriertruhe geworfen. Immer schneller und wilder. Seite an Seite mit aufgerissenen Mündern, warme Löcher, durch die der Winter eingesogen wird. Perfekt gestampft, absolut perfekt! Die Knie wie Federn, die Füße in festgeschnürten Skischuhen angespannt. Ein Brausen im Fleisch, das immer noch zunimmt, eine Fahrt, die fast unmöglich wird, Schnee, der aufblitzt, das Heulen des Windes, ein einziger Wirbel.
Und dann passiert es. Ein unheimliches Dröhnen rollt das Eis des Torneälven entlang bis nach Peräjävaara, die Luft wird wie ein Spiegel zersplittert. Wir durchbrechen die Schallmauer. Der
Himmel wird hart und spröde wie Kies, und wir stürzen, beide gleichzeitig. Wir fallen nebeneinander jeweils in eine schneedampfende Wolke, werden mit ausgestreckten Armen in qualmenden Kugeln herumgewirbelt, und unsere Skistöcke zeigen nach außen, ins Weltall, jeder auf seinen eigenen leuchtenden Stern.
KAPITEL 6
- darüber, wie eine Alte den Platz zur Rechten des Herrn einnimmt, und über die Schwierigkeiten, die irdischen Güter zu verteilen.
An einem kühlen Frühlingstag verließ Niilas Großmutter die irdische Welt. Bis zum letzten Moment hatte sie mit klarem Verstand dagelegen und mit einem brüchigen Flüstern ihre Sünden bekannt, bevor sie mit ihrer leberbraunen Zungenspitze an dem Brot leckte und ihr die eingetrockneten Lippen mit Wein bestrichen wurden. Danach erklärte sie, es werde hell, sie sehe Engel Sauermilch aus der Schöpfkelle trinken, und als sie ihren letzten Seufzer getan hatte, wurde ihr Körper um zwei Gramm leichter, denn soviel wog ihre unsterbliche Seele. Noch am Tage ihres Sterbens rief man zum ulosveisu für die nächsten Angehörigen. Die Söhne bugsierten ihren Sarg mit dem Fußende voran und mit offenem Deckel durch alle Zimmer ihres Rauchstubenhauses, damit sie von ihrem Heim Abschied nehmen konnte, man sang Kirchenlieder, trank Kaffee und brachte die sterblichen Überreste schließlich in das Gefrierfach des Leichenschauhauses.
Anschließend lud man zur Beerdigung selbst ein. Die Telefonzentrale in Pajala lief heiß, und die Post verstreute Massen an Einladungskarten über ganz Norrbotten, Finnland, das südliche Schweden, Europa und den Rest der Welt. Die Großmutter hatte die Erde schließlich so gut sie nur konnte mit Nachkommen versorgt. Zwölf Kinder hatte sie geboren, die gleiche Anzahl wie die Jünger, und genau wie diese, waren ihre Kinder in alle Winde verstreut worden. Einige wohnten in Kiruna und
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