Populaermusik Aus Vittula
und trank und sog wie an einer spitzen Frauenbrust.
Das Bier schmeckte wie Heu. Es kratzte im Hals, schäumte und zischte. Ich lag fast da und schaute hoch in die schönen geschminkten Augen des Mädchens, sie waren blau wie der Fluss, sie war mindestens vierzehn und schaute so sanft und warm auf mich herab. Da wollte ich liegen bleiben, in ihrem Schoß schlafen, die Tränen brannten mir in den Augen. Sie merkte das und zog vorsichtig die Flasche weg. Ich hatte die
Hälfte in mich geschüttet, und sie kam mit ihren Lippenstiftlippen herab, und plötzlich küsste sie mich.
Die Mädchen jubelten. Meine Schwester lächelte überraschend liebevoll. Ich fühlte mich wie in einem Schwindel und setzte mich an die Wand. Niila wurde gezwungen, den Rest der Flasche zu trinken, er kämpfte lange und erntete schließlich auch Applaus. Atemlos knöpfte er sein Hemd auf und zog die Scheibe heraus. Dann setzte er sich neben mich, während meine Schwester das Grammophon anstellte.
Die Mädchen benahmen sich wie die Verrückten.
Wir mussten es mindestens zwanzigmal spielen.
Und ich lehnte mich gegen Niila und spürte ein Glück, dass mich fast zerriss.
Hinterher standen wir auf dem Hof und meinten zu zittern. Die Abendkühle fiel von dem klaren Himmel, die Nacht würde bitterkalt werden. Niila trat von einem Bein aufs andere, er wollte etwas fragen, traute sich aber nicht so recht. Schließlich zog er mich mit sich in die Garage. Schloss das Tor, so leise er konnte, hinter sich und drängte sich dann ganz dicht an mein Ohr.
»Wie hat sie’s gemacht?«, flüsterte er.
Ich umfasste seine Schultern.
»Streck die Zunge raus«, sagte ich. »Nein, nicht so weit.«
Er zog sie wieder zurück, dass nur die Spitze herausragte, rund, feucht, rosa. Ich streckte meine auch ein bisschen heraus. Eine Weile standen wir einfach so da, vollkommen unbeweglich.
Dann beugte ich mich vor und küsste seinen salzigen Jungsmund.
KAPITEL 8
- in dem ein Brett hergestellt wird, ein Mund sich öffnet und die Bühne zum ersten Mal geentert wird.
Die Sechzigerjahre näherten sich ihrem Ende, und draußen in der Welt explodierte die Popmusik. Die Beatles reisten nach Indien und lernten dort Sitar spielen, Kalifornien wurde überschwemmt von Flower Power und psychodelischem Rock, und England brodelte von Bands wie Kinks, Procol Harum, The Who, Small Faces und The Hollies.
Nur sehr wenig davon erreichte Pajala. Meine Schwester tat alles, was in ihren Kräften stand, um etwas mitzukriegen, sie hängte einen Kupferdraht als Mittelwellenantenne zwischen die Kiefern auf unserem Grundstück und bekam so Radio Luxemburg auf unserem alten Röhrenradio zu fassen. Ab und zu fuhr sie nach Kiruna oder Lulea, um The Shanes aus Tuolluvaara zu sehen, die 1966 zusammen mit den Beatles aufgetreten waren, oder die Hep Stars, wenn ihre Wege sie hier vorbeiführten, aber jeweils erst nach einer langen Predigt unserer Mutter hinter verschlossenen Türen.
Es gab einen großen Abstand zwischen Pajala und der Welt. Und als das schwedische Fernsehen endlich eines ihrer so seltenen Popkonzerte ausstrahlte, war es eine mehrere Jahre alte Aufnahme von Elvis Presley. Man musste einfach nehmen, was einem geboten wurde. Erwartungsvoll setzte ich mich hin. Meine Schwester schob die Schiebetür aus Furnierholz auf, die die Glasscheibe verdeckte, und stellte den Strom rechtzeitig genug an, da die Bildröhre erst langsam wie ein Brot im Ofen erwärmt werden musste, bevor sie zu leuchten begann. Die elektrischen Signale wurden vom Kanästornet losgeschleudert und begannen ihren weiten Schlingerkurs durch das Land. Die Relaisstationen empfingen die Signale und schickten sie zur nächsten und wieder nächsten weiter, und wie eine riesige Güterzugkette mit scheppernden Eisenerzwaggons erreichten sie letztendlich den Fernsehmast von Pajala oben auf dem Jupukka, wurden umgeformt und kullerten wie Erbsen auf unsere schwarzweißen Flimmerkisten.
Und da stand er. Elvis. Bevor er nach Deutschland geschickt wurde, um dort seinen Militärdienst anzutreten, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, ein schmächtiger Jüngling mit einem schiefen Lächeln, öliger Haartolle und Beinen, die sich wie Pfeifenreiniger biegen ließen. Papa schnaubte und ging demonstrativ in die Garage hinaus. Mama blieb sitzen und tat so, als ob sie strickte, konnte aber keine Sekunde die Augen von diesem verschwitzten Mannsbild in schwarzer Lederjacke lassen. Meine Schwester kaute auf den Nägeln und heulte noch die ganze
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