Populaermusik Aus Vittula
Lautstärke auf. Es knisterte leise.
Ein Lärm! Das Gewitter brach los. Ein Pulverfass explodierte und sprengte das Zimmer. Der Sauerstoff ging zur Neige, wir wurden gegen die Wände geschleudert, waren an die Tapete gepresst, während sich die Kammer in rasender Fahrt drehte.
Wir klebten wie die Briefmarken fest, das Blut wurde uns ins Herz gepresst, sammelte sich in einem darmroten Klumpen, bevor alles kehrt machte und in die andere Richtung sprang, bis in die Finger und Zehenspitzen, rote Speerspuren von Blut im ganzen Körper, bis wir wie die Fische nach Luft schnappten.
Nach einer Ewigkeit hielt der Wirbel an. Die Luft sauste durch das Schlüsselloch wieder davon, und wir fielen als kleine, feuchte Häufchen auf den Boden.
Rock ’n’ roll music.
Beatles.
Das war zu schön, um wahr zu sein.
Lange Zeit brachten wir kein Wort heraus. Wir lagen einfach nur blutend da, leer und glücklich in dem klingenden Schweigen. Dann stand ich auf und spielte die Scheibe noch einmal.
Wieder das Gleiche. Es war unfassbar. Das konnte nicht von menschlichen Wesen gemacht worden sein.
Noch einmal.
Genau in dem Moment stürmte meine große Schwester herein. Sie war stinksauer, presste ihre Krallennägel in meinen Oberarm und schrie mich an, dass mir das Kaugummi ins Auge spritzte. Was zum Teufel wir in ihrem Zimmer täten, verdammte, verfluchte Hosenscheißer, und ihr Mädchenarm erhob sich zu einem mörderischen Karateschlag.
Im nächsten Moment hielt sie inne. Die Musik setzte ein. Sie drang in sie, schwoll an wie ein Glied, spritzte rot um sich. Das war magisch, wir waren drei Säugetiere, in verschiedenen Positionen erstarrt, und dann da noch dieser klapprige, kleine, tragbare Plattenspieler.
Als die Scheibe zu Ende war, war sie es, die sie von vorn spielen ließ. So eine Musik war das. Man konnte einfach nicht aufhören.
Am gleichen Abend radelten Niila und ich hinunter zum Torneälv. Wir rollten auf die Straßenbrücke, hoch über dem Wasser, balancierten auf dem schmalen Horizontstreifen des Betons zwischen den weit entfernten Ufern.
Der ganze Fluss war immer noch zugefroren. Aber die Tageswärme hatte die Schneemassen auf den Waldweiden schmelzen lassen, Bäche hatten kleine Adern unter den gewaltigen Sargdeckel des Eises gebohrt und das Eingeschlossene mit Stärke erfüllt. Die Muskeln waren angeschwollen, ein aufgetautes Herz hatte wieder angefangen zu schlagen.
Und jetzt, gerade in diesem Augenblick, hebt sich der Brustkorb des Flusses in einem einzigen tiefen, langsamen Atemzug, jetzt dehnt er sich unter der meterdicken Decke aus, füllt die Lunge und die Blutbahnen wie ein Ausbrecherkönig, spannt an, schwillt an und drückt langsam Tausende von Tonnen Zoll für Zoll nach oben. Das passiert, ohne dass man es sieht, unterirdisch, eine Anspannung wie in einem Traum, eine Oberfläche, die sich wölbt, ein eingesperrter Jüngling, der immer weiter wächst, bis er den Heizkessel mit Fleisch und Muskeln füllt.
Noch einen halben Zoll.
Man sieht es nicht, man spürt es nur. Vielleicht ist es die Luft, der Luftdruck, ein Vibrieren im Sporthafen hinten bei Jupukka, die Silhouette einer Krähe, die plötzlich umkehrt, oder vielleicht ist es auch durch die Brückenpfeiler zu spüren, durch den Beton, ein schillernder Schrei des Wassers.
Einatmen. Geschmolzener Schnee. Die Krähe, die noch einmal wendet, unerklärlich.
In dem Moment passiert es. Zweimal ein kurzer Ruck. Und dann bricht die Oberfläche, ein offener Riss in der weißen Schwere. Eine schwarze Flut. Dröhnen, neue Risse, lange, knackende Axthiebe in die Eismasse. Sich krümmendes Gewölbe, das splittert. Und alles beginnt sich zu rühren, alles wird zu Bewegung, dieser ganze weit ausgedehnte Marmorboden.
Innerhalb einer Sekunde steigt der Fluss um achtzig Zentimeter. Die Ufer werden überspült, schwarze Wasserarme breiten sich aus. Riesige Eisschollen, hunderte von Tonnen schwer, zersplittern, verkeilen sich in dem bedrohlichen Gedränge ineinander. Sie werden hochkant geschoben wie funkelnde Wale, bevor sie schäumend wieder in die Tiefe tauchen. Sie werden wie die Kontinentalplatten übereinander geschoben, meckern, blöken und jammern. Donnern mit der Stirn voran gegen die Brückenpfeiler, werden zu klirrenden Eiswürfeln zermahlen. Geräusche, die man sonst nirgends hört, es dröhnt und kracht, knackt, braust, faucht, klirrt, knackt, das umhüllt einen wie Musik. Man ist mitten drin.
Bald kommen die Stadtbewohner. Parken am Brückenansatz
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