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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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und eilen zu uns, reihen sich das Brückengeländer entlang auf; alte Männer und Frauen, Mädchen und Kerle, Kleinkinder, die mit fester Hand gepackt werden. Cousins und Cousinen, Nachbarn und Freunde und sogar einige Eigenbrötler, als wäre der Fluss in der Stadt herumgelaufen und hätte sie gerufen, als hätten es alle gespürt.
    Man steht einfach nur da. Es gibt nicht viel dazu zu sagen. Man schaut nur, horcht und spürt, wie der spröde Beton unter den Fußsohlen erzittert. Eisschollen in einem unendlichen Strom, sie nehmen gar kein Ende, ein zerbrochenes, immer währendes Krachen. Und zum Schluss merkt man, wie die Brücke sich bewegt, sie löst sich, sie beginnt sich wie ein gewaltiger Eisbrecher den Fluss aufwärts zu kämpfen, man steht auf dem Vordersteven, während sie sich mit gewaltiger Kraft am Anfang einer langen, abenteuerlichen Reise durch das Packeis vorwärts kämpft.
    »Rock ’n’ roll music!«, schreie ich Niila ins Ohr.
    Er versteht mich.
    Wenn man erst einmal die Kraft der Musik entdeckt hat, gibt es kein Zurück. Das ist wie das erste Mal wichsen. Man kann nicht mehr aufhören. Man hat eine Kapsel geöffnet, und der Schaum schießt in einem breiten Strahl heraus, ein Druck, der einem die Tür aus der Hand reißt, der die Scharniere herauszerrt und nur noch ein klaffendes Loch hinterlässt. Ihr kennt doch diese U-Boot-Filme, in denen die Wasserbomben treffen und alle Mann zur Stahllucke in dem wasserdichten Rumpf stürmen und versuchen, sie zu schließen, aber von der brutalen Wassersäule wie Papierschiffchen zurückgeworfen werden.
    Die Musikschule von Nacka war dagegen wie Trockenschwimmen.
    Ungefähr so, als ob eine alte, verknöcherte Grundschullehrerin mit Tafel und kreidebeschmierten Händen versucht, den Jungs Onanietechniken beizubringen. Und sich zum Abschluss an die Tretorgel setzt und das pädagogische Wichslied singt.
    Niila kam öfter zu uns als früher, und jedes Mal brachte er die Scheibe mit. Und dank der Single wurde meine Schwester plötzlich richtig menschlich und ließ sie auf ihrem Plattenspieler laufen, während sie selbst dabeisaß und zuhörte. Irgendwie kamen wir uns durch die Musik näher, sie begriff wohl so langsam, dass ich nicht für den Rest meines Lebens ein Rotzbengel bleiben würde. Manchmal waren auch ihre Freundinnen da. Sie saßen auf ihrem Bett und auf den Sitzkissen, hübsche Oberstufenbräute, die gut nach Haarspray rochen und Kaugummi kauten, dass es knallte. Sie hatten Brüste unter engen Pullovern. Schwarzgeschminkte Augen. Sie stellten Niila und mich auf die Probe - die Kaulquallen, die Rotzbengel -, und versuchten uns zu reizen, dass wir rot wurden. Fragten, ob wir ein Mädchen hätten. Ob wir schon mal eine geküsst hätten. Erklärten, wie man das mit der Zunge machte, das war ziemlich eklig, aber man wurde fast geil davon, obwohl man noch gar nicht so weit war und kaum begriff, was es mit dem anderen Geschlecht überhaupt auf sich hatte.
    An einem Abend am Wochenende gingen wir in das Zimmer meiner Schwester, ohne anzuklopfen. Unsere Eltern waren zum Autobingo auf dem Fußballplatz gegangen. Die Bräute schrien auf. Auf dem Boden zwischen ihnen standen Bierflaschen, eine ganze Kiste voll. Wir zogen uns sofort zurück, aber meine Schwester zerrte uns wieder rein und schloss mit drohendem Blick die Tür ab. Dann prophezeite sie uns solche Prügel, dass uns die Milchzähne ins Gehirn geschoben würden, wenn wir petzten, außerdem würde sie uns an den Haaren ziehen, dass wir eine Glatze bekämen, uns die Gedärme mit ihren spitzen roten Fingernägeln rausziehen und uns langsam über der Lötlampe rösten, so einer, wie Papa sie benutzte, um die Skier zu wachsen, und noch vieles mehr zu diesem Thema.
    Ich stellte mich dumm, um mein Leben zu retten, das ist in den tornedalschen Gegenden ein guter Trick, murmelte, dass sie ja wohl so viel Brause trinken dürften, wie sie wollten. Da begannen die Mädchen albern zu kichern und meinten, wir müssten auch mal probieren, damit wir mitschuldig würden, das sei die einzige Möglichkeit, uns das Maul zu stopfen. Sie öffneten eine Flasche und kamen ganz nah heran, Dauerwellhaar kitzelte im Gesicht, und ich fühlte heißen Atem und roch Mundspray. Eine hielt mich an den Wangen fest, hart und fast kneifend, eine andere hob die Flasche - und ich machte den Mund auf. Sie kamen so nah, dass ich spürte, wie weich ihr Busen war, ich bog den Kopf wie ein Säugling an der Nuckelflasche nach hinten und schluckte

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