Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
Sechzigerjahren, da war keine Weltsensation nötig. Niila und ich wurden umringt, es ereignete sich während der Mittagspause, wir landeten in einem Kreis von Bezichtigungen, Lügner zu sein, und Hohngelächter. Der Kreis wurde immer dichter, und schließlich gab es nur noch einen Ausweg. Wir waren gezwungen, in der Wahlstunde aufzutreten.
    Unsere Lehrerin war mit diesem Vorschlag leider einverstanden. Sie ließ den Hausmeister einen alten Plattenspieler ausgraben, und ich selbst lieh mir heimlich Jailhouse Rock von der Schwester. Wir wollten schauspielern, also borgte ich mir eines der Springtaue der Mädchen als Mikrophon. Ich würde in den Handgriff singen.
    Bereits bei der Probe während der Pause war mir klar, dass wir scheitern würden. Auf dem Plattenspieler war die 45-Umdrehungen-Funktion kaputt, er spielte nur auf 33 oder 78. Die Scheibe klang entweder wie Beerdigungsposaunen in Tibet oder wie Donald Duck im Zirkus. Wir entschieden uns für Letzteres.
    Es klingelte zur Stunde, und die Klasse ließ sich auf den Bänken nieder. Niila stand mit dem Gitarrenbrett in festem Griff da und schaute vollkommen panisch drein. Die Jungs begannen schon mit Radiergummis zu werfen, bevor wir überhaupt anfingen. Ich schnappte mir das Springtau und dachte an den Tod. Die Lehrerin wollte uns gerade ansagen, da dachte ich, dass das nun auch keine Rolle mehr spielte, und ließ den Tonabnehmer runter.
    Die Musik donnerte los. Und wie wir sprangen. Der Boden wellte sich, und die schwere Nadel fuhr auf dem wehrlosen Vinyl wie ein Starenschnabel herum. Niila stand vor lauter
    Nervosität so steifbeinig da, dass er schließlich das Gleichgewicht verlor, er fiel auf das Lehrerpult, schubste mich im Fallen und donnerte schließlich rückwärts gegen die schwarze Tafel, von der das Kreidefach abriss. Ich selbst machte gute Miene zum bösen Spiel, hörte auf, nur zu mimen, da die Scheibe sowieso klang, als würde man eine Nageldose schütteln, und fing stattdessen an, in hausgemachtem Englisch loszuschreien. Ich röhrte so infernalisch, dass sogar die Radiergummiwerfer innehielten, während ich gleichzeitig versuchte, Niila daran zu hindern, auf den Plattenspieler zu springen. Und da der Pickup immer hin und zurück hüpfte, nahm das Stück auch nie ein Ende. Niila machte einen Satz, dass die Schulterschnur riss und die Gitarre in die Wandkarte fiel, das verursachte einen tiefen Riss in Finnland, ungefähr in Höhe von Jyväskulä, und schließlich vernahm ich den Schrei der Lehrerin in meinem eigenen Lärm, während Niila sich in dem Springtau verfing und steifbeinig wie ein Elch auf mich plumpste, und gemeinsam fielen wir auf den Plattenspieler, sodass der Tonabnehmer endlich absetzte und es still wurde.
    Wir lagen übereinander. Niila konnte nicht mehr atmen, er konnte nur noch einatmen, aber nicht aus, er schnappte immer wieder nach Luft, wobei sich seine Lunge bis zum Zerbersten füllte. Meine Lippen schmeckten nach Blut und Salz. Und es war so still, dass man eine Ratte niesen hören konnte.
    Dann begannen die Mädchen zu klatschen. Spärlich, aber freundlich. Die Jungs murmelten neidisch vor sich hin, und ich bekam einen großen Radiergummiklumpen an den Kopf.
    Da war mir klar, dass wir doch nicht ganz und gar gescheitert waren.
    Die darauf folgenden Tage waren nicht einfach. Niila bekam daheim Prügel, als herauskam, was er getan hatte, aber er behauptete ganz tapfer, dass es das wert gewesen sei. Und ich wurde von meiner großen Schwester an Leib und Leben bedroht, als sie ihre zerkratzte Scheibe sah. Ich kam nur davon, indem ich einem knallharten Abzahlungsplan zustimmte, mit dem sie mein Taschengeld auf geraume Zeit mit Beschlag belegte.
    Sonderbarer waren die Reaktionen der Mädchen. Wie die meisten Jungs in dem Alter erlebte ich mich selbst als schüchtern und hässlich, mit nicht zu bändigendem Haar, Kartoffelnase und viel zu dünnen Oberarmen. Aber plötzlich wurden uns gewisse Blicke zugeworfen. Kurze, scheue Blicke in der Essensschlange vor der Schulkantine, ein schnelles Lachen aus der Mädchengruppe vor dem Handarbeitsraum. Wir wurden zum Tauspringen eingeladen, was wir scheu annahmen. Von den neidischen Jungs wurden wir als Weichlinge tituliert. Alles war reichlich verwirrend und ziemlich erschreckend.
    Gleichzeitig spielten wir weiter in der Garage, Stücke, die wir im Radio gehört hatten und dann aus dem Gedächtnis wiedergaben. Niila sprang mit der Latte, und ich sang. Nachdem ich herausgefunden hatte, dass ich

Weitere Kostenlose Bücher