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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Nacht in ihr Kissen. Und ich wollte eine Gitarre haben.
    Am nächsten Tag ging ich nach dem Unterricht in den Hobbyraum im Keller und sägte aus einer Furnierscheibe eine gitarrenähnliche Form aus. Nagelte eine Latte als Hals daran. Spannte Gummibänder als Saiten. Band eine Schnur daran, dass ich das Ungetüm um den Hals hängen konnte.
    Der einzige Platz, wo ich meine Ruhe haben konnte, war die Garage. Wenn mich niemand sah, schlich ich mich dort hinein, stellte mich breitbeinig auf den Betonboden und spähte ins Publikumsmeer. Ich hörte das Schreien und ahnte die Tausende von Mädchen, die sich an den Bühnenrand drängten. Dann legte ich mit Jailhouse Rock los, das ich von der Platte meiner Schwester her auswendig kannte. Versuchte mit dem Hintern zu wippen. Spürte, wie die Musik in mir anschwoll, kräftig und gesalzen. Dann schnappte ich mir die Papprolle aus dem Toilettenpapier, die mein Mikrophon darstellte, und öffnete den Mund. Und fing an zu singen. Aber es war ein Gesang ohne ein
    Laut, nur meine Lippen bewegten sich, genau wie bei den Musikstunden der Grundschullehrerin. Ich bewegte mich zu der Musik in meinem Inneren, ließ meine Hüften schwingen, sprang und schlug Akkorde, dass die Latte erzitterte.
    Plötzlich hörte ich etwas knacken und hielt erschrocken inne. Eine Zeit lang war ich fest überzeugt davon gewesen, dass das Publikumsgejohle bis zur Kirche zu hören sei. Aber ich war allein in der Garage, und bald war ich wieder in meinem Film. Eingetaucht zwischen den Regalen, umgeben von Licht und Grollen. Die Hüften wippten, der Bühnenboden bebte, und ich bog den Körper in einem krampfartigen Bogen nach hinten.
    Da stand Niila. Wie ein Luchs war er hereingeschlichen und hatte mich schweigend beobachtet, wer weiß, wie lange schon. Ich erstarrte vor Scham. Wartete auf sein Hohngelächter, darauf, dass er mich mit der Fliegenklatsche an der Wand zerdrücken würde.
    Nur ein einziges Mal habe ich später das gleiche Gefühl absoluter Nacktheit gespürt. Das war im Zug zwischen Boden und Älvsbyn auf der Bahntoilette. Ich hatte gerade geschissen, stand da und wischte mir den Arsch ab, mit heruntergelassenen Hosen, als die Toilettentür von außen aufgeschlossen wurde und eine Schaffnerin mich nach meiner Fahrkarte fragte. Sie behauptete, sie hätte angeklopft, aber verdammt noch mal, das hatte sie garantiert nicht.
    Niila ließ sich auf einem umgedrehten Blecheimer nieder und kratzte nachdenklich an einer Schorfwunde. Schließlich wollte er leise wissen, was ich da eigentlich mache.
    »Spielen«, murmelte ich, voller Scham.
    Er blieb lange Zeit schweigend sitzen und betrachtete meine plumpe Furnierplatte.
    »Darf ich auch mal probieren?«, fragte er schließlich.
    Zuerst dachte ich, er wolle mich verarschen. Aber dann erkannte ich zu meiner Überraschung, dass er es ernst meinte. Mit wachsender Erleichterung hängte ich ihm das Brett über die Schulter und zeigte ihm die Griffe. Er begann mich nachzuahmen, wie ich Elvis nachgeahmt hatte, er wiegte sich vorsichtig vor und zurück.
    »Du musst die Knie dabei einknicken«, wies ich ihn an.
    »Warum das denn?«
    »Na, natürlich für die Mädchen.«
    Er sah plötzlich ganz schüchtern aus.
    »Dann musst du aber singen.«
    Lässig hielt ich die Klopapierrolle an die Lippen und mimte schweigend, den Kopf hin und her werfend. Niila sah mich unzufrieden an.
    »Du musst richtig singen!«
    »O Scheiße, nein.«
    »Doch.«
    »Aber ich kann das nicht.«
    »Doch, für die Mädchen!«, sagte Niila auf Finnisch. Und ich brach in lautes Gelächter aus, und der Bann zwischen uns war gebrochen.
    So fing das Ganze an, daheim in der Garage zwischen den Skiern, Schneeschiebern und Winterreifen. Niila spielte, und ich öffnete den Mund und ließ meine Stimme erklingen. Heiser und rau und grölend. Ich johlte und quiekte, es klang schlimmer als ein Hund, und es war das erste Mal, dass ich mich traute, zu singen.
    Ein paar Wochen später ließ ich während einer Pause verlauten, dass Niila und ich eine Popband gegründet hätten. Und das Gefühl hatten wir ja auch, schließlich standen wir jeden Tag nach der Schule in der Garage und hatten unser Traumleben zu kunterbunten Riesenballons aufgeblasen. Und da ich schon immer über einen nur gering ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb verfügte, kombiniert mit einer Zunge, die schnell allzu lose war, rutschte es mir einfach so raus.
    Die Sensation verbreitete sich in Windeseile. Es war schließlich wie gesagt Pajala in den

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