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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Landstraße. Langsam bekamen wir mehr Fahrt, und mit rasselnden Gängen und beißendem Zweitaktqualm tuckerten wir durch Pajala.
    Wir entschieden uns für den alten Kiesweg auf der anderen Flussseite, der weniger befahren war, falls die Polizei von Gällivare eine ihrer Verkehrskontrollen veranstalten sollte. Der Saft stieg in den Pflanzen auf, es war kurz vor der grünen Ohrfeige des Sommers. Im Moos verrottete das Laub des Vorjahres, die Birken standen noch kahl, aber mit anschwellenden Knospen da, und auf der Sonnenseite des Flusses hatte die Wärme bereits keimende Schachtelhalmstängel geweckt, die auf eine grausliche Art lang gezogenen steifen Pimmeln ähnelten. Der Fluss lag blauschwarz und breit da, nachdem das Eis gebrochen war. Wir knatterten den schmalen Kiesweg stromaufwärts, steile Hügel hinauf, um dann den Formen der Waldwiesen zu folgen, vorbei an gluckernden Gräben, keimendem Riedgras an den Weidenufern. Ich lag fast auf der Ladefläche und füllte meine Jungslunge mit Säften und Frühlingsgeilheit. Die Abendkühle stieg aus den Senken empor, und ich fühlte, wie sie durch die lange Unterhose drang. Nur ein einziges Mal stießen wir auf ein Auto, ein Typ, der aus seinem hochgepuschten Amazon auf der unerlaubten Rennstrecke kurz vor Autiobron einen neuen Geschwindigkeitsrekord herauskitzeln wollte. Der Kies spritzte gegen das Blech, als er uns entgegenbretterte. Ich richtete mich unruhig auf, er hob nicht einmal seinen Blick von dem Tacho, als er mit einer Trompetenfanfare an uns vorbeidonnerte.
    Wir überquerten den Fluss bei der Landstraßenbrücke und fuhren auf dem breiteren, asphaltierten Kirunavägen weiter. Erkheikki und Juhonpieti glitten mit ihren rotgestrichenen Rauchstubenhäusern und Schnittwiesen an uns vorbei, bis uns der Wald wieder schluckte. Hier und da konnten wir noch den Fluss zwischen den Bäumen erspähen, er sah aus wie eine funkelnde Blechplatte. Die ausgestreckt auf dem Rücken lag und in den frühlingshellen Himmelsraum mit seinen dahinziehenden Zugvögeln blinzelte.
    Endlich bogen wir auf einen holprigen Waldweg ein. Wir holperten und schaukelten einen sanften Abhang hinunter, während der Wald sich öffnete und lichter wurde. Dann lag der Fluss wieder mit seinen letzten Eisresten am Ufer vor uns. Weiter oben gab es magere Wiesen, die früher einmal der Wildnis abgetrotzt worden waren, inzwischen aber von kleinen Espen und Babyfichten übersät waren. Ein Stück den Abhang hinauf, außerhalb der Reichweite der Frühlingsfluten, lag ein altes Blockhaus. Es war aus grauen Baumstämmen, mit schwarzen Fensterscheiben. Am Eingang lehnte ein Damenfahrrad.
    »Er ist zu Hause«, murmelte ich nervös und stieg von der Ladefläche. Mein Hintern tat mir nach der langen Holperfahrt weh. Niila stellte den Motor ab, und plötzlich wurde es unglaublich still. Auf zittrigen Beinen trotteten wir über den Hofplatz auf den Eingang zu. Die Gardinen hinter dem Fenster bewegten sich. Ich klopfte an und schob nervös die knarrende Haustür auf. Dann trat ich ein.
    Ryssi-Jussi saß am Küchentisch. Er trug eine schmutzige Schürze, die früher einmal weiß gewesen sein mochte, und auf dem Kopf saß ein bräunliches, nachlässig geknotetes Kopftuch. Fettige graue Haarsträhnen stachen hervor und hingen ihm bis auf die Schulter. Es roch in der Küche intensiv nach altem Mensch, ein säuerlicher, erstickender Geruch, eine Mischung aus angebrannter Milch und verrottetem Fleisch. Dazu kam der typische Rauchstubengeruch, den man im ganzen Tornedal finden konnte, ein leicht vermoderter Dunst aus den Erdkellern und Flickenteppichen, kalte, alte Wolle. Die Armutsgerüche, die bis in die Hauswände eindrangen und nie richtig verschwanden, wie oft man auch renovierte.
    »No nykkös tet tuletta. Da seid ihr also.«
    Er zeigte auf den Tisch, auf dem bereits zwei dampfende Kaffeetassen standen. Er musste gespürt haben, dass wir uns näherten. Unter dem Pony hervorspähend schlürften wir den Kaffee, der von dem sauren Brunnenwasser einen merkwürdigen Beigeschmack hatte.
    Nach einer schroffen Aufforderung begann Niila seine ganze Geschichte auf Finnisch herunterzuleiern. Alles von dem Dahinscheiden der Großmutter vor drei Jahren bis zu ihrer schrecklichen Rückkehr und ihrem vorsätzlichen Mordversuch mit ihren Händen um Niilas Kehle. Ryssi-Jussi kratzte sich langsam mit einem länglichen Zeigefingernagel in den Bartstoppeln. Der Nagel war überraschend lang und sorgfältig zu einer Spitze gefeilt. Am

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