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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Nagelbett waren noch Reste roten Nagellacks.
    Als wir wieder schwiegen, warf der Alte uns einen sonderbaren Blick zu. Seine Augen wurden ganz starr, glasartig und hart. Das Gesicht schrumpfte zu einem Knoten zusammen. Und mitten zwischen all den Falten weiteten sich seine Pupillen zu schwarzen Gewehrmündungen. Seine linke Hand begann zu zittern, der kleine Finger begann wie ein Wimpel in alle Richtungen zu zucken, bevor er plötzlich erstarrte und genau geradeaus zeigte. Langsam entspannte sich die Gesichtshaut wieder und wurde dunkelbläulich von den Adern. Wir trauten uns nicht, uns zu bewegen.
    »Ja, da gibt es eine Lösung«, erklärte eine ruhige, äußerst schöne Stimme auf Finnisch.
    Das Alte-Männer-Knarren war weg. Stattdessen war eine überraschend warme und volle Altstimme zu hören. Und plötzlich sahen wir die Frau. Sie war die ganze Zeit dort gewesen, versteckt unter dem Äußeren. Jetzt beugte sie sich da drinnen wie hinter einem dunklen Fensterglas vor, presste sich gegen die Falten des Alten und glättete sie von innen. Sie war eine Schönheit. Volle Frauenlippen, eine hohe, glatte Stirn, geschwungene Augenbrauen, bittere und sehr, sehr traurige Augen.
    »Es gibt eine Lösung ...«, wiederholte sie zögernd und wandte sich halb von uns ab. »Die Alte muss geerdet werden ... die Alte verschwindet, wenn ihr ihr den Pimmel abschneidet .«
    Sie verstummte. Ein Zittern durchfuhr den langen Körper, wie bei einer alten Tanne, von der der Schnee herunterrutscht. Ein Schnauben entwich den Lippen, und wir wichen vor dem nach Harz riechenden Atem zurück. Langsam kehrte Ryssi-Jussi zurück. Er wirkte müde und verfroren, schlug mit den Armen um sich.
    »Ihr schlaft doch hier«, sagte er flehend und sah entsetzlich einsam aus.
    Wir lehnten so höflich wir nur konnten ab.
    »Verdammt, natürlich bleibt ihr hier!«, befahl er mit wütend werdender Stimme und zog seine Augenbrauen zu einem undurchdringlichen Gestrüpp zusammen.
    Wir bedankten uns und leerten unsere Kaffeetassen, bedankten uns noch einmal und noch einmal, während wir rückwärts zur Tür gingen. Ryssi-Jussi stand auf und kam hinter uns her. Er lächelte einladend mit feuchten Lippen und streckte die Arme nach uns aus, um uns zu umarmen. Wir zwängten uns aus der Tür und eilten zum Moped. Schreckensbleich sprangen wir drauf. Es sprang nicht an. Niila zog den Choke und trampelte immer wieder, aber nichts passierte. Der Motor war mausetot. Ich versuchte es anzuschieben. Ryssi-Jussi kam die Treppe herunter, in Pantoffeln, mit flehentlichem Blick.
    »Wartet doch . lasst mich nur kurz fühlen .«
    Plötzlich hatte ich seine spitzen Nägel im Rücken. Sie kratzten wie Klauen, bis zur Taille hinunter.
    »Hiiri tullee ... die Ratte kommt .«
    Bis runter zum Po. Ich drehte mich rasch um. Sein Mund war über mir, groß und feucht wie eine Tüte, die über mein Gesicht gezogen wurde, und ich war am Ertrinken. Zu weich, absolut zu weich .
    Langsam streichelte er mich und schaute mir tief in die Augen. Er musste es doch spüren. Er musste sehen, dass ich nicht wollte!
    Ich wand mich. Er hielt dagegen, machte sich steif. Seine Hand suchte und suchte.
    Doch dann platzte alles. Die Maske zerbrach. Tränen kullerten hervor und überschwemmten alles. Er ließ es mich sehen, er stand vollkommen offen in seinem Schmerz da und wartete darauf, dass ich ihn errettete. Aber ich war nicht da. Gekrümmt drehte er sich um und schlich zurück in sein Haus.
    In dem Moment sprang der Motor an. Aufgeregt brausten wir über den Hofplatz davon, auf den Weg für Waldfahrzeuge zu. Das Rauchstubenhaus verschwand hinter den Kiefern. Der Wald umgab uns mit seinem ruhigen Dunkel, die Baumkronen glänzten hoch oben in der Abendsonne. Ich hielt mich mit aller Kraft an der Ladefläche fest, damit ich nicht während der Fahrt herunterfiel. Spürte, wie die Anspannung nachließ, wie die Verkrampfung im Zwerchfell dahinschmolz.
    »Wir haben es geschafft!«, schrie ich durch den Motorenlärm hindurch. Niila ging mit der Geschwindigkeit herunter. Ich spürte immer noch den Geschmack des Alten und seines abgestandenen Kaffees und spuckte in den vorbeirauschenden Kies. Die Fahrt wurde noch weiter heruntergeschraubt, wir rollten immer langsamer dahin, und zum Schluss blieben wir stehen. Der Motor erstarb, und es wurde ganz still. Ich schaute Niila verwundert an. Er starrte geistesabwesend auf die nächste Wegbiegung.
    »Es brennt«, sagte er.
    Ich verstand gar nichts. Er begann mit den Kiefern

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