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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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zu malmen, als äße er, ich hörte, wie seine Zähne aufeinander knirschten.
    »Jetzt sterben wir«, stellte er mit singender Stimme fest. Dann stieg er vom Sattel und trippelte auf Zehenspitzen los. Hinunter in den Graben, leicht schwankend.
    »Warte!«, schrie ich und eilte ihm nach. Da merkte ich, welche Schwierigkeiten ich hatte, den Boden zu berühren. Er war um zehn Zentimeter gesunken und gerade eben außer Reichweite meiner Füße. Ich bekam keinen Halt, als ich versuchte, zu gehen, rutschte stattdessen mit unsicheren Skischritten voran. Niila war bereits im Wald, ich musste mich vor den Zweigen in Acht nehmen und landete rittlings auf einer verwachsenen Babybirke, die mich fast umwarf.
    »Niila, bleib stehen!«
    Er starrte intensiv auf seine linke Hand, als wäre sie ein fremder, unangenehmer Organismus, der sich an seinem Körper festgesogen hätte.
    »Rot«, sagte er.
    In dem Moment sah ich es auch. Von seinen Fingern stiegen hektische rote Flammenzungen auf. Wenn er die Hand schüttelte, lösten sich davon Stückchen, die seine Kleidung entzündeten. Erschrocken sah ich mich um. Es war zu spät. Der ganze Wald brannte schon. Wir waren von einem wütenden, aber vollkommen lautlosen Waldbrand umringt. Niila hatte Recht gehabt, wir würden sterben. Und gleichzeitig war es wunderschön. So eine umwerfende Schönheit. Mitten in meiner Angst stiegen mir die Tränen in die Augen, wollte ich am liebsten die Baumstämme umarmen, während wir verzehrt wurden. Die Farben wurden immer stärker und dehnten sich aus. Buttergelb, feuergelb, fleischrot und kleine violette Speerspitzen, die zwischen den Baumwipfeln herunterregneten. Jetzt wurde ich noch höher vom Boden gehoben, ich musste mich an Niila festhalten, um nicht davonzufliegen. Ich spürte, dass mein Kopf leichter war als der Rest des Körpers, ein Luftballon, der mich nach oben trug. Das Feuer kam immer näher und umzingelte uns von allen Seiten. Wir standen wie schwarze Rohre in diesem glühenden Schmelzofen da und warteten auf die Schmerzen.
    In dem Moment zog Niila das Messer heraus. Ein glänzendes Taschenmesser, platt wie ein kleiner Fisch. Mit dem Daumennagel schob er die Scheide heraus. Und als ich den Blick hob, spürte ich Eis im Herzen, eine Kälte, die sich bis in die Glieder ausbreitete, obwohl das Feuer gegen die Haut gedrückt wurde. Ich stand wie ein Eiszapfen in einem brodelnden Brühetopf und schrie, und heraus kamen Luftblasen.
    Da stand die Alte. Niilas Großmutter. Mit Hohngelächter näherte sie sich mit zahnlosem Mund, ein verschrumpelter Schemen im Leichenkleid, die Arme zu einer Umarmung ausgebreitet. Weit ausgestreckt wackelten ihre gelben Würgehände. Niila stach zu, aber sie packte sein Handgelenk mit der Schnelligkeit einer Kreuzotter, hielt es wie im Schraubstock fest und begann es langsam nach hinten zu drücken. Und die ganze Zeit lachte sie, und es tropfte wie Würstchenfett ins Feuer. Niila schlug verzweifelt mit seiner freien Hand zu und bekam ihren Haarknoten zu fassen. Er zog mit aller Kraft an der grauen, dicken Kugel. Sie begann aufzujaulen und krallte sich mit ihren Nägeln um seinen Kehlkopf. Spürte seinen Puls da drinnen, den kleinen pickenden Vogel, und drückte zu. Als würde sie ein Insekt zerdrücken. Ein Quetschen, und dann ein paar Säfte. Niila hob den Haarknoten wie ein Elsternest hoch. Ich versuchte ihren Würgegriff zu lösen, aber ihre Faust saß fest wie eine Zange. Niila riss wortlos den Mund auf, ein stummer Schrei, seine Augen schwollen durch das stockende Blut an. Dann ließ er sich voller Verzweiflung nach hinten fallen. Ratsch! Der Haarknoten löste sich wie ein Grasbüschel. Er flog mit Stücken der mürben Schwarte davon. Die Alte lockerte ihren Griff mit einem Aufschrei und suchte nach ihrem Haarteil. Sofort schnitt Niila ihr Kleid auf. Darunter war sie nackt. Zwei alte, runzlige Frauenbeine, ein schwarzer Haarbüschel dazwischen. Und mitten in dem Haarbüschel saß etwas Unheimliches. Ein Stiel. Der lebte. Eine sich windende Schlange. Sie schnappte nach Niila und bespuckte ihn. Er packte den knochigen Kopf, hielt ihn fest und schnitt mit einem schnellen Schnitt den Pimmel an der Wurzel ab.
    In dem Moment öffnete die Alte ihren Mund. Ein rasselnder Windstoß zog durch das Flammenmeer, und unter ihr öffnete sich die Erde. Als würde sie jemand an den Füßen ziehen, wurde die Erscheinung ins Moos hinuntergezogen. Bis zur Taille, zum Brustkorb, hinunter bis zum Hals. Aber erst als der haarlose

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