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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Besuchen im südlichen Schweden hatten sitzen müssen. Einer erzählte von seinem Saunabesuch im Jormliens Fjällhotell, wo der Elektroofen norwegisch war und aussah wie eine altmodische Wäscheschleuder. Der Steinstapel war von der Größe einer Teetasse gewesen, hatte nur Platz gelassen für zwei Steine - wenn einer davon hochkant stand. Ein anderer erzählte voller Abscheu von einem Baujob, den er drei Monate lang in Gotland gehabt hatte. Nicht ein einziges Mal hatte er dort der Hygiene nachkommen können, da die Saunakultur nicht bis dort unten durchgedrungen war. Stattdessen lag man da in einer so genannten Badewanne und schwamm in seinem eigenen Schmutzwasser.
    Großvater machte eine Pause mit den Aufgüssen und wies darauf hin, dass mehrere seiner Söhne selbst elektrische Saunaaggregate beim Bau ihrer Eigenheime installiert hätten und dass die Tornedalsche Kultur damit zu ihrem baldigen Untergang verdammt sei. Die benannten Söhne protestierten und erklärten, dass sie die Aggregate in Finnland gekauft hätten, deshalb seien sie von unübertrefflicher Qualität, ganz und gar vergleichbar mit Holzfeuerkollegen, und dass sie in der finnischen Saunazeitschrift Saunalehti fünf Saunaruten als Prädikat bekommen hätten. Großvater erklärte daraufhin mürrisch, dass die Elektrizität die lächerlichste Erfindung von allen sei, die aus dem südlichen Schweden heraufgekommen seien, sie würde Mensch und Vieh verweichlichen, die Muskelmasse bei den Arbeitern und Frauen verringern sowie die Kälteverträglichkeit verringern, das Sehvermögen im Dunkel verschlechtern, den Kindern Ohrschäden bereiten und sie unfähig machen, verdorbenes Essen zu sich zu nehmen, und somit auf dem besten Wege sein, die Tornedalsche Zähigkeit und Geduld auszurotten, da nunmehr alles in rasender Geschwindigkeit von Maschinen ausgeführt würde. Binnen kurzem würde wohl auch der Geschlechtsverkehr durch Elektrizität ersetzt werden, da das doch eine schweißtreibende, anstrengende Angelegenheit sei und all so etwas bekanntermaßen heutzutage als altmodisch angesehen wurde.
    Großvater machte einen neuen Aufguss, ohne auf die Beteuerungen seiner Söhne zu hören, sie würden ganz gewiss aus hartem, finnischem Holz bestehen. Stattdessen sprach er von Weichlingen, und das seien sie alle geworden, und davon, dass das Tornedal von knapsut und ummikot erobert worden sei, und dass er vor allem bedauere, dass er sie nicht häufiger verprügelt habe, als sie noch klein waren. Aber jetzt war es zu spät. Niemand kannte mehr das Gefühl, wie es war, in einer Sauna zu sitzen, in der man selbst geboren worden war, in der der eigene Vater geboren worden war, der Vater seines Vaters, in der die Leichen der Familie gewaschen und gekleidet worden waren, in der der kuppari den Kranken Blut abzapfte, in denen die Kinder gezeugt wurden und sich eine Familiengeneration nach der anderen nach der Arbeitswoche reinigte.
    Seine Stimme wurde brüchig, und er erzählte mit Tränen in den Augen, dass das Leben, meine Jungs, aus Kälte und Schmerzen, Betrug, Lügen und Geschwätz bestehe. Nehmt nur so eine Sache wie die Revolution, die er seit dem Streik 1931 erwartete, wann zum Teufel würde sie endlich kommen, war sie etwa in letzter Zeit in der Gegend gesichtet worden, he? Ein einziges Mal war seine Hoffnung geschürt worden, als er ins finnische Kolari gefahren war, um Lebensmittel einzukaufen und im Kundengewimmel bei Valinta Friberg Josef Stalin mit einem Einkaufswagen voller Fleisch erspäht hatte. Aber da hatte dieser offenbar nicht vorgehabt, in dieser Beziehung etwas auszurichten.
    Eine Flasche wurde zu Großvater hochgereicht, damit er sich in der Hitze trösten konnte und gleichzeitig einen Schluck auf den Ofen kippen. Ein Hauch von Fuselöl wogte uns entgegen. Großvater reichte die Flasche weiter, wischte sich die Nase mit dem Unterarm ab und sagte, dass alles zusammen nur eine große Scheiße sei, und bald würde man ja sowieso sterben. Aber Kommunist, das war er immer noch, das wollte er ein für allemal klarstellen, und falls er jemals auf dem Totenbett anfangen würde, was von der Vergebung der Sünden und Jesus loszubrabbeln, dann wäre das nur Wahn und Senilität und sollte mit einem Pflaster auf dem Maul beantwortet werden. Dieses Versprechen forderte er allen hier und jetzt ab, im Beisein der Familie und von Zeugen. Denn die Todesangst war nichts im Vergleich mit der Furcht, kindisch zu werden und in der Krankenstube von Pajala bei weit

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