Populaermusik Aus Vittula
ab, da es bereits Mai war und elektrische Beleuchtung nicht nötig sein würde, die Nächte würden schließlich bis in den August hinein hell bleiben.
Dagegen würde er gern die Sauna sehen. Sie stand am Waldrand, grau vom Alter und rußig um die Tür herum. Heinz schlug die Tür auf. Atmete tief ein. Ein wehmütiges Lächeln wuchs auf seinem Gesicht, als er den Dampfsaunageruch einatmete.
» Sauna «, murmelte er in seinem exotischen finnischen Akzent. »Ich bin seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr in der Sauna gewesen!«
Und schon am gleichen Abend konnten Niila und ich von unserem Versteck aus sehen, wie er nackt zum Tornefluss hinunterlief, sich zwischen die letzten treibenden Eisschollen warf und halb bis zur anderen Seite hinüberschwamm, bevor er umdrehte und zurückkam. Dann blieb er blaugefroren am Ufer stehen und machte mit zusammengeschrumpeltem Geschlecht gymnastische Hüpfübungen, bevor er wieder in die Wärme hineineilte.
Am nächsten Tag schaffte er sich aus den Beständen des Zolls eine ausrangierte Schreibmaschine an, einen alten Schrotthaufen aus Gusseisen. Er schleppte sie in den Vorraum, saß da und hämmerte stundenlang auf sie ein, mit Blick auf die Wiesen mit ihren keimenden, noch spärlichen Gräsern, und mit den neckenden Flötentönen des Großen Brachvogels in den Ohren.
Aber wer war er eigentlich? Was machte er hier? Bald kursierten Gerüchte über diesen sonderbaren Fremdling im Ort. Es hieß, Heinz wäre SS-Soldat in Finnland während des Krieges gewesen. Dort hätte er Finnisch und die Saunagänge schätzen gelernt. Während des weiteren Krieges war seine Kompanie gezwungen worden, sich vor der finnischen Armee zurückzuziehen, nordwärts durch das finnische Tornedal, wo die wilde Schönheit der Landschaft einen unauslöschlichen Eindruck bei ihm hinterlassen hatte.
Gleichzeitig hatte man alles verbrannt. Es hatte dazu den Befehl gegeben, der Krieg der verbrannten Erde. Jedes Rauchstubenhaus, jede Scheune in einem Ort nach dem anderen, sogar die Kirchen waren mit Benzin übergossen worden, bis die gesamte Gegend nur noch ein einziges Flammenmeer war. Das gesamte nördliche Finnland wurde zu Asche verbrannt. Heinz war dabei gewesen. Und jetzt war er zurückgekehrt, um seine Erinnerungen niederzuschreiben.
So erzählte man. Heinz hingegen blieb ziemlich für sich. Er machte schnelle Spaziergänge in kniekurzer Trainingshose, absolvierte seine ruckartige Morgengymnastik auf dem Vorhof, mit kichernden Kindern in den Büschen, und füllte sodann Seite um Seite während seiner disziplinierten Schreibstunden.
Das Einzige, was ihn störte, waren die Ratten.
Das Haus war voll von ihnen. Die Witwe hatte mehrere Katzen gehabt, aber seit sie eingewiesen worden war, hatten die Ratten freie Bahn. Sie hatten sich in dem Dreck eingerichtet, hatten Höhlen in die Bettmatratze genagt, Gänge in den Zwischenboden und mehrere Generationen geboren. Heinz beklagte sich bei seinen Vermietern, die ihm eine alte Hofkatze liehen, aber die lief so schnell sie konnte wieder zu sich nach Hause. Rattengift verwarf Heinz, da viele der Ratten dann in ihren Verstecken unter dem Boden sterben und damit das ganze Haus mit ihrem Gestank verpesten würden.
Eines Abends in der ersten Sommerferienwoche spionierte ich Heinz hinterher, während er vor seiner Haustür saß und auf seine Schreibmaschine eindrosch. Sie ratterte fast wie ein altmodisches Moped. Ich schlich mich an der Hauswand entlang und näherte mich der Ecke, hinter der ich vorsichtig vorspähte. Er saß im Profil da. Eine lange, leicht gebeugte Nase, eine Brille mit Metallfassung, ein spärlicher Schwarm frisch geschlüpfter Mücken um seinen Kopf wie ein Heiligenschein alter Erinnerungen.
»Tule tänne sinä! Komm her, du!«, sagte er auf Reichsfinnisch, ohne sein Schreiben zu unterbrechen.
Ich erstarrte vor Schreck.
»Tule tänne!«, wiederholte Heinz, und das war ein Befehl. Er hörte auf zu hacken, zog sich die Brille herunter und wandte mir seine eisgrauen Augen zu.
Ich stolperte auf zitternden Beinen hervor. Stand da wie ein gemeiner Soldat, voller Scham, überrumpelt.
»Du kriegst fünfzig Öre pro Ratte«, sagte er.
Ich begriff nichts. Fühlte mich nur dumm und ängstlich.
»Hier sind zu viele Ratten«, fuhr er fort. »Kann man schwer schlafen bei all dem Gepiepse und Geraschel.«
Er musterte mich, um zu sehen, was er von mir halten sollte, stand dann von seinem knarrenden Stuhl auf und kam näher. Ich rührte mich nicht, es war
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