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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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fast ein feierliches Gefühl mitten in meiner Angst. Er gehörte zu den Männern, von denen ein Junge gelobt werden möchte. Mit einer geschmeidigen Bewegung zog er eine braune, nach Leder duftende Brieftasche heraus und aus ihr einen Zehn-Kronen-Schein. Den hielt er mir unter die Nase, ganz ruhig, als wäre es ein riesiger Schmetterling. Der Schein war neu und noch nicht gefaltet, solche sah man nicht oft. Wie konnte er unbeschadet durch ganz Schweden zu uns hier oben gelangen? Der alte König blinzelte im Profil. Grausilberne Farbe, haardünne Striche, Qualitätspapier mit dem Wasserzeichen wie ein blauer Fleck im Gegenlicht. Und dahinter wurde ich plötzlich etwas anderes gewahr. Eine elektrische Gitarre. Eine richtige, meine eigene elektrische Gitarre.
    Ich nahm den Schein entgegen. Ich knüllte ihn nicht in die Tasche. Ich trug ihn vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger, immer noch ohne jeden Knick.
    Wie alle Dorfkinder kannte ich die Technik, wie man Ratten totschlug. Man legte eine rohe, geschälte Kartoffel an die
    Hauswand und stellte sich mit einem Knüppel bereit. Dann wartete man still und geduldig, bis die Ratte angekrochen kam. Und schlug sie dann tot. Wenn man ein frisches Rattenloch im Boden fand, konnte man ein paar Eimer Wasser hineinkippen. Dann waren die Ratten kurz vorm Ertrinken und kamen herausgerannt - und dann musste man nur noch zuschlagen.
    Am ersten Tag tötete ich drei Ratten auf diese Art und am nächsten Tag zwei. Heinz bezahlte aus seiner großen Lederbrieftasche, schien aber nicht zufrieden zu sein. Die Methoden schienen ihm altmodisch und ineffektiv zu sein. Am gleichen Nachmittag kaufte er acht Bügelfallen im Pajala Eisenwarenhandel, mit Stahlfedern, die den Rücken der kleinen Kreaturen brechen sollten. Ich lernte sie zu spannen, ohne mir die Finger zu quetschen und mit Schwartenstückchen, Käserinde und was es sonst noch gab, zu bestücken.
    Am nächsten Morgen fand ich sechs Rattenkörper. Die siebte Falle war unberührt, die achte war leer zugeschlagen. Ich warf die pelzigen Leichen an den Waldrand und spannte die Fallen von neuem. Als ich am Abend nachschaute, befanden sich vier Körper darin. Heinz betrachtete zufrieden die abgeschnittenen Schwänze, bezahlte mich großzügig und ermunterte mich, meinen Einsatz fortzusetzen.
    In der folgenden Woche ging ich die Fallen morgens und abends durch, und der Tagesfang belief sich auf ungefähr zehn Körper. Ich stellte die Fallen regelmäßig an andere Stellen, spannte sie in der Speisekammer, im Vorratskeller, auf dem Dachboden, aber auch außer Haus unter der Eingangstreppe oder auf der Rückseite beim Holzstapel. Die Leichen waren sonderbar schlaff, kleine, weiche Felltüten mit zerbrochenem Rückgrat und plattgedrückten Rippen. Es kam auch vor, dass der scharfe Metallbügel das Fell kaputtschlug, sodass die Gedärme wie violette Algen über die Falle quollen. Dann gab es nur eins, sich abhärten und sauber machen. Seinen Job machen, auch wenn es eklig war.
    Und es wurde tatsächlich nachts ruhiger im Haus. Aber niemals ganz still. Wie viele Ratten auch getötet wurden, es kamen immer neue dazu, ein neuer Wurf, neue Gäste zogen ein, sobald die alten Bewohner verschwunden waren.
    Außerdem wurden die Leichen langsam zu einem Problem. Der Fuchs fraß so viele, wie er konnte, aber der Rest begann langsam schlecht zu riechen. Nicht lange, da war der Waldrand von Krähen übersät. Sie kamen vor allem in der Morgendämmerung, schrien und stritten sich um die Rangordnung unter ihresgleichen und störten Heinz’ Nachtschlaf noch mehr als die Ratten. Heinz gab mir einen Spaten aus dem Lager und ließ mich eine Grube außerhalb seiner Hörweite im Wald graben. In ihr konnte ich die Fallen ausleeren.
    Der Sommer kam jetzt mit aller Macht. Die Lerche hing in der Luft wie ein zerfranster Propeller, die Stare flöteten und flatterten in den Espen, die Bachstelze zog zähe Regenwürmer aus den Kartoffelackern, während die Mehlschwalben sich auf die Hochspannungsleitungen setzten und sich Läuse aus ihren metallischen Flügelfedern zupften. Und unter der Erde vermehrten sich die Ratten mit Schwindel erregender Geschwindigkeit.
    Mit der Zeit wusste ich immer mehr über das Verhalten der Ratten. Viele glauben, Ratten wären kleine, chaotische Knäuel, die voller Panik ziellos überall herumlaufen. Aber während ich die Fallen ums Haus herum aufstellte, entdeckte ich verschiedene Rattenpfade. Oftmals waren sie nur schwer zu erkennen, sie

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