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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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unmöglich, den Bus zu umfahren.
    »Da!«, schrie Tommy aus der Siebten.
    Unten im Graben. Etwas Rotes, das sich vorschob. Durch Schlamm und Steine. Am Bus entlang. Und vorbei, im gleichen Moment, in dem das Ortsschild passiert wurde.
    Einen Moment lang waren alle wie vom Blitz getroffen. Versuchten zu begreifen, was sie gesehen hatten. Und dann brach der Jubel im Bus aus.
    »Der aus Schonen hat gewonnen!«
    Ein fetter Spitz warf eine alte Frau mit einem Beereneimer um und raste hinter dem Rotgekleideten her, wie von Sinnen kläffend.
    Greger hatte noch eine andere merkwürdige Fähigkeit. Er konnte Tornedalfinnisch. Alle waren davon ausgegangen, dass er als ein Mann aus Schonen ein ummikko war, der Muttersprache der Ehre und der Helden nicht kundig, aber jetzt kam die Bestätigung für das Gegenteil von mehreren unabhängigen Quellen. Männer und Frauen versicherten, dass sie mit diesem knarrenden Außenstehenden lange, anregende Gespräche in meän kieli geführt hätten.
    Greger war ein lustiger Kerl, und nach Art der Südländer hatte er ein anormal ausgeprägtes Kontaktbedürfnis. Nachdem er diverse schweigende Kilometer auf seinem Rennrad abgerissen hatte, musste er also anhalten und sich mit den Ortsansässigen unterhalten. Verblüffte Männer und Frauen konnten plötzlich ohne jeden Grund in Anttis, Kardis, Pissiniemi, Saittarova, Kivijärvi oder Kolari angehalten werden. Vor ihnen stand ein verschwitztes Marsmännchen und plapperte, dass die Spucke spritzte. Die Worte waren unbekannt, aber man erwiderte sicherheitshalber auf Finnisch, dass man nichts kaufen wolle.
    Dann stellte man fest, dass man sonderbarerweise verstand, was er sagte. Das war ziemlich unwirklich. Dieses dröhnende Rotwelsch mit Geräuschen, wie sie nur ein Betrunkener hervorbringen konnte! Und wenn man mit joo varmasti antwortete oder niinkö sagte, so verstand der Fremde das bis auf den i-Punkt.
    Das Geheimnis wurde von einem älteren Zöllner gelüftet, der in seiner Jugend ein paar Jahre Dienst in Helsingborg geschoben hatte. Als einer der wenigen Tornedalbewohner beherrschte er daher sowohl das Tornedalfinnisch als auch das Schonisch. Zufällig kam er bei Conrad Mäkis Landhandel in Juhonpieti vorbei, als Greger gerade dort stand und mit ein paar Rentnern schnatterte. Der Zöllner stellte sich daneben und hörte diskret, aber genau zu. Hinterher berichtete er allen Interessierten auf eine objektive und detaillierte Art von seinen Beobachtungen. Und nach alter Gewohnheit schrieb er dann sogar noch seine Zeugenaussage nieder, die ich selbst habe lesen können, ganz vorschriftsmäßig von ihm selbst unterzeichnet und bezeugt von zwei unabhängigen Personen.
    Ganz offensichtlich war, dass der Konversant G (also Greger) während des gesamten Gesprächs ein Schonisch der breiigen Art gesprochen hatte, abgesehen von wenigen tornedalschen Kraftausdrücken (siehe Anlage I) mit meistens falscher Aussprache. Die Konversanten A, B und C (zwei alte Kerle und eine
    Frau) hatten sich während des gesamten Gesprächs ebenso offensichtlich an Tornedalfinnisch gehalten. Das Merkwürdige dabei war, dass das Gespräch ganz logischen Bahnen folgte, und die beiden Parteien offenbar einander verstehen konnten. Gesprächsthemen waren in chronologischer Reihenfolge:
    1.    Regen und Kälte der letzten Zeit.
    2.    Das Wachsen der Kartoffeln im Spätsommer, die geschmacklichen Vorteile der Mandelkartoffel gegenüber der runden Kartoffel und inwieweit der viele Regen Kartoffelfäule bewirken könnte.
    3.    Die Heuernte des Sommers, die Anzahl der Reuter und ihre Qualität und inwieweit der späte Frühling Einfluss auf den Nahrungsgehalt des Heus hatte.
    4.    Der Tierbestand im Ort, die Fütterung von Milchkühen früher und heute, die Mechanisierung der Landwirtschaft und ob Traktoren wohl auf schwedischer oder finnischer Seite preiswerter waren.
    5.    Eine große Anzahl kürzlich gefundener verkrüppelter Karotten, die aussahen wie Pimmel, und ob das eine Laune der Natur sein könnte oder eine Warnung unseres Schöpfers, die gegen die Tanzveranstaltungen der Jugend gerichtet war.
    6.    Die Hoffnung auf Wetterverbesserung sowie Abschiedsfloskeln.
    In wissenschaftlicher Mission hatte der Zöllner Greger angehalten, als dieser gerade wieder davonfahren wollte und ihn in neutralem Ton nach der Uhrzeit gefragt:
    »Mitäs kello on?«
    »Gleichfalls«, hatte Greger freundlich erwidert.
    Aus all diesen Dingen zog der Zöllner folgende Schlüsse:

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