Populaermusik Aus Vittula
Greger beherrschte kein Finnisch (abgesehen von den falsch
ausgesprochenen Schimpfwörtern, Anlage I, wie gesagt). Ebenso wenig verstanden die Rentner Schonisch.
Das geheimnisvolle Einverständnis zwischen ihnen konnte zwei Gründen zugeschrieben werden: Gregers Körpersprache, die auffallend lebendig und deutlich war, sowie seinen offenbar umfassenden Kenntnissen der Landwirtschaft.
Der Sohn des Zöllners war Sprachforscher in Umeá und begann eine Arbeit zu dem Thema: Bilingual understanding in a northern Scandinavian multicultural environment, fing dann aber an zu saufen und bekam sie nie fertig.
Greger lachte nur laut los, als das Gespräch darauf kam. So sind sie nun einmal, die Leute aus Schonen. Albern und immer zum Lachen bereit.
Gleich am ersten Schultag machte Greger Inventur im Instru-mentenlager: ein Klassensatz mit Klanghölzern aus Birke, zwei Tambourine, von denen das eine gerissen war, zwei Triangel, ein Holzxylophon, bei dem das Fiss und das A fehlten, eine Maracasse, aus der die Samen herausfielen, eine Gitarre mit drei Saiten und ein abgebrochener Filzschläger. Außerdem gab es einen Klassensatz von »Jetzt wollen wir singen I« und eine Hand voll »Vaterländische Gesänge« von Olof Söderhjelm.
»O Scheiße, was für ein Schrott!«, brummte Greger.
Und bevor jemand es richtig begriff, hatte er einen Betrag aus dem Schulbudget losgeeist, während wir nicht einmal ahnten, dass es so etwas gab, und eine Batterie, einen elektrischen Bass, eine elektrische Gitarre und Verstärker gekauft. Plus einen nagelneuen Plattenspieler. In der folgenden Stunde erwies er sich als ein unerwartet tüchtiger Gitarrist. Die gesunde breite linke Hand rutschte wie eine behaarte südamerikanische Vogelspinne auf dem Griffbrett auf und ab, während der einsame rechte Daumen die Akkorde und Flageoletts schlug, die leicht wie nichts klangen. Dann ging er zum Blues über und tat so, als sänge er wie ein Schwarzer, was ganz einfach war, da er ja aus Schonen kam. Er zog ein klagendes Gitarrensolo mit dem Daumennagel als Plektrum hoch. Die Klasse sperrte Mund und Ohren auf.
Als es schließlich zur Pause klingelte, blieben Niila und ich noch im Raum.
»So werde ich nie spielen können«, erklärte Niila mit finsterer Miene.
Greger legte die Gitarre hin.
»Hände ausstrecken!«, befahl er.
Niila tat, wie ihm geheißen. Greger streckte seine eigenen auch vor und betrachtete seine Finger.
»Zählen«, befahl er.
Und Niila zählte. Sechs Finger.
»Und wie viele hast du?«
»Zehn.«
Nun ja, so konnte man es auch sehen.
Nachdem Greger unser Interesse bemerkt hatte, bekamen wir die Erlaubnis, während der Pausen zu üben. Niila zupfte mit großen Augen auf der elektrischen Gitarre, verwundert darüber, wie leicht es war, die Saiten runterzudrücken. Ich selbst schnappte mir den elektrischen Bass. Er fühlte sich ungewohnt schwer an, hing wie ein Mausergewehr am Schulterriemen. Dann stellte ich die beiden Verstärker an. Niila fragte unruhig, ob man einen Stromschlag an den Fingern kriegen könnte. Ich erklärte, dass es bestimmt keine Gefahr in dieser Richtung gebe, da die Saiten ja einzeln isoliert seien.
Dann fingen wir an zu spielen. Es war ein kribbliges, ein wunderbares Gefühl, und es klang einfach teuflisch. Aber von diesem Augenblick an wurde das Spiel irgendwie wirklicher. Von einer selbst gezimmerten Holzplanke in der Garage über die schreckliche Akustik im Keller waren wir jetzt zu den richtigen Dingen gelangt. Blitzender Lack, verchromte Drehknöpfe und Tasten, leise surrende Lautsprechermembranen. Das war einfach großartig. Das war ernst.
Die erste Aufgabe bestand darin, den Takt zu halten. Zuerst jeder für sich, was schwierig genug war. Anschließend zusammen, was noch viel schwieriger war. Die nächste Aufgabe war, den Akkord zu wechseln. Möglichst gleichzeitig. Dabei weiterhin im Takt zu bleiben. Und wieder zurück.
Diejenigen, die selbst spielen, wissen, wie es war. Es dauerte lange, bis man es als Musik bezeichnen konnte.
Greger lauschte immer mal wieder und gab uns freundschaftliche Ratschläge. Sein größter Verdienst war seine unglaubliche Geduld. Wie in der Mittagspause, als er uns beibrachte, zusammen anzufangen. Er zählte uns immer wieder vor, aber ich fing immer auf Drei an und Niila auf Vier. Einmal war es auch andersrum. Schließlich, als wir endlich beide auf Vier anfingen, erklärte Greger, dass man auf Eins anfangen sollte. Auf die zweite Eins. Die nie laut ausgesprochen
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