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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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werden mussten, in die man sich aber auf keinen Fall vertiefen durfte.
    Das Gefährlichste aber, vor dem er auf das Schärfste warnen wolle, der einzige Faktor, der ganze Kompanien armer junger Seelen in den Nebel des Wahnsinns getrieben habe, das war das Bücherlesen. Diese schlechte Angewohnheit war in der letzten Generation immer üblicher geworden, und Vater war ungemein dankbar, weil ich selbst bis jetzt derartige Tendenzen nicht gezeigt hatte. Das Irrenhaus war überfüllt mit Leuten, die zu viel gelesen hatten. Einmal waren sie wie du und ich gewesen, körperlich kräftig, ohne Ängste, zufrieden und im Gleichgewicht. Dann hatten sie angefangen zu lesen. Meist aus irgendeinem Zufall heraus. Eine Erkältung mit ein paar Tagen Bettruhe. Ein schöner Buchumschlag, der die Neugier weckte. Und plötzlich war die Unsitte geboren. Das erste Buch führte zum nächsten. Und zum nächsten und wieder nächsten, Glieder einer Kette, die geradewegs in die ewige Nacht der Geisteskrankheit führte. Man konnte ganz einfach nicht aufhören. Das war schlimmer als Drogen.
    Gut möglich, dass man in aller Vorsicht mit Büchern umgehen konnte, aus denen man etwas lernte, wie Nachschlagewerke oder Reparaturhandbücher. Das Gefährliche war die Belletristik, da wurden die Grübeleien geboren und ermuntert. O Scheiße! Derartige Gewohnheiten schaffende, gefährliche Produkte dürften nur in staatlich kontrollierten Geschäften gegen Vorzeigen des Ausweises verkauft werden, rationiert, und nur an Leute in reifem Alter.
    Jetzt rief Mutter die Kellertreppe hinunter, dass das Essen fertig sei. Wir wickelten uns die Handtücher um und rasten hoch. Vater stolperte und schlug sich den großen Zeh, schien aber keinen Schmerz zu spüren.
    Und ich war kein Junge mehr.
    KAPITEL 16
    - in dem ein böser Mann die Bekanntschaft mit Harschschnee macht, worauf seiner Ehefrau ein kühles Getränk angeboten wird.
    Niilas Vater Isak versuchte die Pubertät seiner Söhne zu bremsen, indem er sie schlug. Je größer sie wurden, umso mehr Prügel. Isaks Alkoholmissbrauch geschah in immer kürzeren Abständen und erstreckte sich auf immer längere Zeiträume. Nüchtern war er launisch, reizbar und schwermütig. Er vertrieb sich die Zeit damit, Regeln für das Benehmen in jeder Ecke des Hauses aufzustellen und jedes Mal, wenn er einen Sünder entdeckte, diesen systematisch zu strafen.
    Isak sah sich selbst als ungemein gerecht an. Oft klagte er in Art der Diktatoren darüber, wie schwer seine Aufgaben doch seien, wie undankbar seine Familie und welche Katastrophen auf das Haus einbrechen würden, wenn er einmal nicht mehr wäre, was, wie er annahm, schon sehr bald der Fall sein würde. Wie alle Alkoholiker dachte er viel über den Tod nach. Er sehnte sich nach ihm, drohte mit ihm und fürchtete ihn mehr als alles andere. Die Gedanken wurden immer stärker, je niedergeschmetterter er war. Oft saß er am Küchentisch über einer ausgebreiteten Zeitung und reinigte seinen Elchstutzen. Kontrollierte den Mechanismus, nahm die Teile auseinander und ölte sie, hob den Lauf vors Auge und verfolgte die Spirale der Rifle bis ins Unendliche. Wenn ein Angehöriger vorbeikam, machte er gern Andeutungen dahingehend, wie das Erbe verteilt werden sollte, welches sein Lieblingspsalm war, welches Bibelwort seiner Meinung nach zu einer Todesanzeige passte. Die Kinder versuchten sich an den Gedanken zu gewöhnen, aber dennoch war es jedes Mal gleich unheimlich. Wenn er länger als üblich fort war, hatten sie immer plötzlich etwas im Keller, in der Garage oder auf dem Dachboden zu tun. Sie wollten wissen, ob es vollbracht war, sprachen aber miteinander nicht darüber. Wenn er sie mit der flachen Hand oder seinem Gürtel prügelte, verschwanden seine Augen, sie verdunkelten sich zu Löchern in einem Schädel. Er war nicht mehr von dieser Welt, er war schon teilweise vermodert, zur Hälfte bereits bei Gott oder beim Satan. So stark war sein Pflichtgefühl und sein Gerechtigkeitsempfinden, dass er weiterschlug, obwohl er weinen musste, seine Kinder mit tränenerfüllten Augen schlug, sie aus einer nebulösen Hitze heraus schlug, die er Liebe nannte.
    Wenn er trank, kam er dem Leben näher. Die Gesichtsfarbe wurde frischer, die trockenen Flussbetten befeuchteten sich und begannen wieder Wasser zu führen. Er konnte lachen, die ersten Gläser genießen, Lust auf Frauen, Essen und Geld bekommen. Gleichzeitig wuchs sein Neid. Er richtete sich auf seine Söhne, die immer stärker

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