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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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wurden, je mehr sie wuchsen. Am schlimmsten behandelte er Johan, den ältesten Sohn, der als Erster an der Reihe war, erwachsen zu werden. Isak war neidisch darauf, dass Johan bald eigene Frauen haben würde, junge, zarte Liebhaberinnen, darauf, dass der Schnaps diesem jungen Körper nicht schadete, darauf, dass Johan bald eigenes Geld verdienen würde, anfangen würde zu leben und die Versuchungen der Welt genießen, während er selbst von kalten Würmern gefressen würde. In den Träumen kam Johan auf ihn zu, riss ihm den Mund auf und drückte ihm seine morschen Vorderzähne ein, bis sie sich in das lose Fleisch schoben. Der Junge ging die ganze Zahnreihe durch, bis nur noch der Gaumen da war, flach und blutig wie die nageldurchschlagene Handfläche Christi.
    Die Pubertät war stärker als der Tod. Sie war ein Keim, der durch den Asphalt hindurch wuchs, ein Brustkorb, der die Hemden sprengte, ein Brennen im Blut, das den Branntwein übertraf. Tief in seinem Herzen wollte Isak seine Söhne am liebsten töten. Aber der Gedanke war so verboten, dass er ihn in Prügel verwandelte, in reichlich Prügel, in eine langsame, hinausgezögerte Hinrichtung. Und dennoch wuchsen sie.
    An einem frühen Spätwintersamstag, als Johan sechzehn und Niila dreizehn waren, wurden sie von ihrem Vater in den Wald geschickt. Sie sollten ein paar aufgestapelte Baumstämme auf dem harten Frühlingsharschschnee zu einem Waldfahrzeug bringen, ein wenig aussortiertes Holz für den Hausgebrauch, das Isak billig hatte kaufen können. Er hatte einen Schneescooter geliehen und brauste schwankend durch die Wildnis zwischen Baumstümpfen und Grasbuckeln hindurch, während die Söhne im Scooteranhänger dahinholperten und sich die windgepeit-schen Wangen rieben. Man konnte sehen, dass sie sich im Motorengeknatter etwas zumurmelten, während sie auf Vaters Rücken schielten, aber man konnte nicht hören, was sie sagten.
    Es wurde ein sonniger Tag. Das Licht rieselte durch die Baumkronen hindurch, funkelte und glänzte in den Spiegelprismen des Schnees. Die Frühlingswinde hatten Bartflechten und Rindenflocken heruntergeweht, die langsam in den Harschschnee einschmolzen. Der Nachtfrost hatte die Oberfläche zu einer festen Platte gehärtet, die mit dem Daumen zersägt und in großen Scheiben hochgehoben werden konnte. Darunter lag der Schnee wie luftiges Puder, so locker, dass man bis zu den Schenkeln einsinken konnte.
    Isak trat gegen den eingeschneiten Holzstapel, holte einen Spaten heraus und befahl Johan zu schaufeln. Und das aber schnell, wenn sie nicht bis zur Mittagswärme fertig wären, nur weil die Söhne trödelten, würde es nicht besonders lustig für sie werden, o nein, ganz und gar nicht.
    Johan nahm schweigend den Spaten und lehnte ihn fest gegen den Holzstapel. Dann zog er sich die Handschuhe aus und schlug entschlossen eine eisenharte Faust geradewegs auf Vaters rechte Augenbraue. Isak verlor das Gleichgewicht und fiel platt auf den Rücken. Sein Gebrüll hallte in der großen Stille wider.
    Johan schlug weiter, auf die Nase, das Kinn, das Jochbein. Niila warf sich wie verabredet auf Vaters Beine und begann auf das Zwerchfell zu schlagen. Ohne Waffe, nur mit den Knöcheln der Fäuste, harte, kräftige Jungsfäuste, die in einem fort schlugen. Isak wand sich wie ein Aal und schrie. Sein Körper wurde durch die Harschschneeschicht nach unten gedrückt, versank im Pulverschnee. Er ruderte mit den Armen, bekam Schnee in den Mund. Das Blut lief zäh und rot, seine Augen schwollen zu. Aber die Jungs machten weiter. Isak trat, verteidigte sich, kämpfte jetzt um sein Leben. Er packte Niila am Hals und drückte zu. Johan bog Vaters kleinen Finger nach hinten, bis dieser schrie und loslassen musste. Durch das Schneeloch verschwand er nach unten, zappelnd wie ein Ertrinkender in dem kalten, weißen Schaum. Neue Schläge, immer härtere, ein Stück Eisen unter starken Hämmern, ein rot glühendes Teil, das mit jedem Schlag schwächer brannte, dunkler wurde, grauer und steifer.
    Schließlich rührte sich der Vater nicht mehr. Die Jungen standen keuchend auf und kletterten auf den Harschschnee hinauf. Der Alte blieb unten in seinem Schneeloch liegen und sah die Silhouetten seiner Söhne sich gegen den Himmel abzeichnen. Sie schauten auf ihn hinab wie auf ein Grab und unterhielten sich flüsternd wie zwei Priester. Schneeflocken schmolzen und kühlten die Totenmaske des Alten.
    »Ergibst du dich?«, schrie Johan jetzt mit der Piepsstimme des

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