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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Stimmbruchs.
    »Schmort in der Hölle!«, röchelte Isak und spuckte Blut aus.
    Da sprangen sie wieder in die Grube. Fingen von neuem an. Sie schlugen ihren Vater, dass der Schweiß spritzte, zerschlugen das alte Alkoholikergesicht, trieben dem Wrack alle Lebenskraft aus, zerbrachen ihn ein für alle Mal.
    »Ergibst du dich?«
    Und nun weinte der Vater. Er schluchzte und heulte Rotz und Wasser tief in seinem Grab und konnte sich nicht mehr bewegen. Und die Söhne kletterten nach oben und machten das Kaffeefeuer fertig, schmolzen Schnee in dem rußigen Kessel. Und nachdem der Kaffee gekocht hatte und das Pulver sich gesetzt hatte und der Duft sich ausbreitete, dass die Unglückshäher hinter den Baumstämmen hervorschauten, holten sie den Alten aus dem Loch und platzierten ihn auf dem Rentierfell. Sie schoben ein Stück Würfelzucker zwischen die zerschlagenen Lippen und reichten ihm den dampfenden Humpen. Und während der Vater jämmerlich schlürfte, erklärte Johan ihm ruhig, dass sie ihn das nächste Mal, falls er wieder eine Hand gegen ein Familienmitglied heben würde, totschlügen.
    Die nächsten Tage warteten sie auf die Rache. Abends schlossen sie die Tür zu ihrem Zimmer ab, um nicht im Schlaf überrascht zu werden, sie versteckten das Endstück des Elchstutzen und achteten darauf, dass keine Messer offen herumlagen. Die Mutter pflegte ihren Mann in den ersten Tagen, in denen er im Bett liegen musste, fütterte ihn mit Brei und Blaubeersuppe und wechselte die Verbände. Sie fragte die Söhne mit dem Blick, aber nicht mit der Stimme, und registrierte, dass sie es vermieden, ins Zimmer zu kommen. Isak selbst schwieg. Er starrte auf die Trockenrisse in der weißgestrichenen Decke, ein Wirrwarr dünner schwarzer Linien, die sich wanden, verzweigten und wieder aufhörten. Sie bildeten Straßen in abgelegener, unbekannter Landschaft. In seinen Qualen begann er an den Wänden entlangzuwandern. Er kam an Häusern und Höfen vorbei, lernte die Bevölkerung dort kennen und die Namen der Orte. Er folgte den Wasserzügen und versuchte sein Anglerglück, durchquerte Wälder voller Wild und Beeren, bestieg niedrige Berge und bewunderte die Aussicht. Zum Schluss suchte er sich einen Platz aus, an dem er wohnen wollte, und zimmerte sich aus von Hand geschlagenen Fichten ein Haus. Dort wollte er in aller Einsamkeit leben. Dort gab es
    Fleisch und Fisch, dort gab es Holz für das Feuer. Die Winter waren lang, genau wie er es gewohnt war, und die Sommer blendend hell. Nur zwei Dinge waren anders als in der alten Welt. Zum einen gab es hier keine Mücken. Nicht einmal in den ausgedehnten Morästen, wo die Moltebeeren wie goldene Fäuste schwankten, nicht eine einzige Mücke, keine Kriebelmücke, Bremse oder Pferdebremse, eine wunderbare Waldwelt ganz ohne Bisse und Stiche.
    Und zum anderen gab es hier keine Sünden.
    Isak war tief in seiner Seele gerührt, als ihm das klar wurde. Er hatte endlich das Paradies gefunden. Wie sehr er auch suchte, er fand nichts Böses. Die Natur gebar und verzehrte, aß und wurde gegessen in einer ständigen Wellenbewegung von Hunger und Tod. Aber es war ein unschuldiger Kampf, vollkommen unverdorben. Die Natur atmete um ihn herum, in ihm, durch ihn. Er musste nicht mehr verzweifelt sein. Konnte aufhören, krampfhaft darum zu kämpfen, die Wasseroberfläche zu erreichen. Brauchte sich nur zu öffnen wie ein Hohlraum und sich von der guten, würzigen Luft durchwehen zu lassen.
    Und auf diese unerwartete Weise begegnete Isak zum zweiten Mal in seinem Leben Gott.
    Aber die Zeit heilte ihn, und er wurde wieder gemein, etwas anderes wäre wohl auch nur verwunderlich gewesen. Doch er hörte auf, von Selbstmord zu reden. Und er prügelte nicht mehr, da er die Drohung seiner Söhne ernst nahm. Stattdessen sah er jetzt überraschenderweise einen Sinn im Älterwerden. Jahre später, nachdem die Söhne das Haus verlassen hatten, versuchte er die alte Gewohnheit wiederaufzunehmen, indem er seine Frau schlug, fand sie aber so verändert vor, dass sie zurückschlug.
    Stattdessen widmete er sich in seinem Alter anderen Beschäftigungen: die Müllabfuhr zu ärgern, die TÜV-Leute zu beschimpfen, Gebietsgrenzen neu zu vermessen sowie Scha-densersatzforderungen und Klagen gegenüber verschiedenen Behörden zu erheben. Aber er wurde nie besonders geschickt in seiner Rechthaberei, und seine Angehörigen ließen sich nicht in seine Machenschaften verstricken.
    Eine Kluft ging durch die gesamte Familie. Die Landschaft

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