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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Clegg
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wie ich kann, 1000 Dollar. Er sagt kein Wort, als er mir die Tüten und die neuen Pfeifen gibt. Kein Wort darüber, dass ich immer mehr bestelle, täglich. Dass er seit fast drei Wochen jeden Abend vorbeikommt.
     
    Ich lasse mir je zwei Liter Wodka auf einmal bringen, mit Kübeln voll Eis, und schon ist wieder nichts mehr da. Ich rauche eine Pfeife nach der anderen und trinke zwischendurch heftig. Weil ich immer wieder zu fest an den Röhrchen ziehe, verbrenne ich mir schwer die Finger. Ich dusche drei- oder viermal. Seife mich mit Shampoo ein, dass es nur so schäumt, wasche mir das Gesicht mit der Edelseife des Hotels, brause mich ab und fühle mich ein Weilchen sauber.
     
    Plötzlich habe ich das Gefühl, dass mir eine Kontaktlinse hinter den Augapfel gerutscht ist. Ich ziehe mir das Lid hoch, stochere mit den Fingern der anderen Hand am Auge herum und taste nach dem dünnen Rand der Linse auf der glitschigen Hornhaut. Nachdem ich das ungefähr eine Stunde lang gemacht habe, brennt mir das Auge, und die ganze Ecke ist rot und geschwollen. Dass das Brennen immer noch schlimmer wird, führe ich darauf zurück, dass ich mir die crackverschmutzten Hände nicht gewaschen habe. Ich hole das nach, und sofort sehe ich die Kontaktlinse auf dem Heißwasserknauf kleben. Blick in den Spiegel – mein Auge sieht aus, als hätte mir jemand Säure hineingespritzt. Die Aufregung der letzten Stunden kocht über; ich stoße einen lauten Schrei aus, renne durchs Zimmer und werfe Kissen, Kleider und was mir sonst noch unterkommt, durch die Gegend. Ein Wasserkrug zerschellt an der Kommode. Das Klirren bremst mich. Ich habe Angst, dass ich zu viel Krach gemacht habe und dass gleich die Hotelleitung erscheint. In den nächsten Stunden schaue ich immer mal wieder durch den Spion und unter der Tür durch. Ein Hit, ein Drink, Blick durch den Spion, Blick unter der Tür durch, Wasser, Shampoo, Seife, und das Ganze von vorn.
     
    Gegen sechs Uhr früh bemerke ich, dass die Sonne im Osten, auf der anderen Seite der Stadt, am Himmel über dem Hudson scheint. Sie legt ein zartes Rosa hinter die niedrigen Gebäude des Industriegebiets. Wann die Raserei der Nacht nachgelassen hat, weiß ich nicht, aber jetzt ist sie vorbei. Als ich auf den kleinen Balkon am Schlafzimmer trete und die stille, kühle Luft einatme, fühle ich mich erleichtert, erschöpft, wie nach wildem Sex. Aus dem Dunkel der Erinnerung tauchen die letzten Zeilen von
Sophie’s Entscheidung
auf:
Das war nicht der Jüngste Tag, es war nur Morgen. Ein herrlicher, klarer Morgen
. Ich spreche die Worte aus und muss lachen, weil dieses »Morgen« wie das schönste und tröstlichste Wort auf Erden klingt, dabei habe ich selten etwas so gefürchtet. Ausgerechnet der Morgen, klar und herrlich!
     
    Vögel kreisen zu Hunderten über dem Fluss. Tief fliegen sie am schwach erhellten Himmel und stoßen herab. Sind es Möwen?, frage ich mich und schließe die Möglichkeit sofort aus. Aber was für Vögel sollten es sonst sein? Während sich das rosa Licht ausdehnt und allmählich im heller werdenden Blau aufgeht, werden es immer mehr. Nicht Hunderte, sondern Tausende, und der Himmel ist ein prächtiges Schwingengewirr. Als wäre ein Stück von der Welt entfernt worden, um Einblick ins Himmelreich zu geben. Zum ersten Mal frage ich mich, ob ich noch am Leben bin.
     
    Ich trete ans Geländer und sehe zwei schwarze Limousinen langsam vor dem Hotel im Kreis fahren. Der vordere Wagen ist direkt unter mir, und ich kann die Hände des Fahrers am Lenkrad sehen. Auf den Gehsteigen hinter ihm spazieren Leute. Vorwiegend zu zweit, mehrere auch einzeln. Alle haben natürlich die Hosen und Schuhe und Windjacken an, die ich aus Newark kenne. Ihre Schritte und Bewegungen scheinen einer eigentümlichen Choreographie stadtgerechter Überwachung zu gehorchen. Sie wirken so wenig bedrohlich wie die Penneys gestern Abend. Über ihnen kreisen die Vögel am Himmel, und ich trete zurück, um diese Kulisse, diese ausgeklügelte Inszenierung zu würdigen. Ich muss an den Flughafen Newark und all die Taxis denken, die wie durch ein Wunder aufgetaucht sind, wenn ich sie brauchte. Ich erinnere mich an den Taxifahrer vom Abend und was er gesagt hat, als ich aus seinem Zaubertaxi gestiegen bin –
alles wird gut
. Wie schon gestern, als ich vor One Fifth stand, denke ich, dass ich vielleicht vor etwas davongelaufen bin, das die ganze Zeit auf meiner Seite war. Dass eine durchorganisierte Überwachung möglicherweise

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