Porträt eines Süchtigen als junger Mann
erlebe, einem Nachmittags-Special von
Bright Lights, Big City
entlehnt zu sein. Der Taxifahrer fügt sich in seine Rolle – verdreht die Augen, fährt weiter. Durchs Rückfenster sehe ich, wie sich meine Angehörigen und Noah auf der Straße verteilen. Es ist Mittag, und um sie herum rauscht die Welt weiter. Ich staune, wie klein sie sind, wie klein das alles ist. Wie schnell diese unscheinbaren kleinen Großstadtdramen vorbei und vergessen sind. Türen fallen ins Schloss, Motoren heulen auf, Taxis sausen quietschend davon, Menschen zerstreuen sich. Durchs Fenster sehe ich sie zu Pünktchen werden. Alles wirft Licht zurück und blendet mich.
Aus dem Schneider
Nach drei Jahren Remission ist der Brustkrebs meiner Mutter zurückgekommen. Die Literaturagentur, die Kate und ich gegründet haben, ist seit einigen Monaten geöffnet, und endlich haben wir auch Telefon. Ich will unbedingt die Vorwahl 212 und entscheide mich gegen den Rat mehrerer Freunde für ATT , weil das der einzige Anbieter ist, der uns keine 646er oder gar 347er Nummer aufdrückt. Das ist mir wichtig. Viele Verzögerungen und Pannen folgen, und da das Netz in Manhattan, wie ich herausfinde, Verizon gehört und ATT ihr Kunde ist, muss die Macke in unserem Anschluss über Verizon bereinigt werden, wenn auch von einem Störungssucher der ATT in Florida. Diese Telefongespräche dauern jeden Tag Stunden. In den ersten Wochen, als wir unsere Geschäfte noch per Handy abwickeln, wird uns mehrfach klargemacht, dass wir ohne weiteres einen Festanschluss bekommen, wenn wir klein beigeben und zu Verizon gehen. Das lehne ich immer wieder ab und bestehe auf der 212. Ich lasse sogar unser ganzes Briefpapier drucken, bevor feststeht, dass wir die schönen 212-Nummern, die ATT uns vor Monaten zugewiesen hat, wirklich bekommen.
In dieser Zeit verkaufe ich mehr Bücher, als ich erwartet hatte, stelle mit Kates Hilfe Assistenten und eine Lizenzfrau ein, gehe mit Verlegern und Autoren essen und rede mehrmals am Tag mit meiner Schwester und meiner Mutter. Meine Mutter lässt sich in einer Brustkrebsklinik in Boston behandeln und fährt von Connecticut jedes Mal drei Stunden hin und zurück. Nach einigen Wochen rät der Arzt, der ihren Therapieplan erstellt hat, zur Entfernung beider Brüste, und noch am selben Tag soll sie sich einer rekonstruktiven Operation unterziehen. Das bedeutet, sie wird acht oder neun Stunden im OP sein, muss aber, wenn alles gut geht, danach nicht mehr unters Messer.
Ich habe eine Psychotherapie begonnen. Es ist nicht die erste. Die erste hatte ich vor fünf Jahren, bei einem drahtigen, angehend kahlen Arzt am Gramercy Park namens Dr. Dave. Bei Dave war ich mit fünfundzwanzig, als ich noch mit Nell zusammenlebte und die einst wenig ausgeprägte Wahrnehmung männlicher Schönheit anfing, sich mit Macht in den Vordergrund zu drängen. Bis dahin beschränkte sich meine sexuelle Erfahrung mit Männern auf ein Bahnhofsklogeplänkel während der Collegezeit und ein paar heiße Stunden mit einem Assistenzarzt für Onkologie, der in der Nähe meiner ersten New Yorker Wohnung lebte. Diese Episoden schrieb ich der Neugier zu und schob sie weg. Doch gegen Ende meiner Beziehung mit Nell, bevor ich Noah kennenlerne, beschäftigen mich Männer sehr – ihre Körper, ihre Stimmen, ihr Geruch. Ich versuche mich zu erinnern, wie es war, Ron, den Onkologen, zu küssen, wie aufregend ich den Kratzbart an meinem Gesicht und den Duft seiner frisch gebügelten Hemden fand. Ein paarmal rufe ich eine Telefonnummer aus
The Village Voice
für Männer auf der Suche nach Sexkontakten an, und wenn Nell verreist ist, treffe ich mich mit einigen dieser Jungs. Nie ist das so aufregend wie die ersten Augenblicke mit Ron mir in Erinnerung sind, und doch greife ich auf diese Telefonnummern zurück und höre scheinbar einsamen, verzweifelten Männern zu, die nächtens auf Partnerfang sind. Ich denke mir, wenn ich zu einem Psychologen gehe und es mir von der Seele rede, kann ich das so dringend gewordene Bedürfnis loswerden oder es zumindest so zurechtrücken, dass ich nicht danach zu handeln brauche.
Ohne auf die Gründe einzugehen, frage ich meinen Chef und mehrere Freunde nach empfehlenswerten Therapeuten und Psychiatern. Fünf oder sechs suche ich auf, zwei davon zweimal, und entscheide mich schließlich für Dr. Dave. Er nimmt 175 Dollar die Stunde – nicht seine üblichen 250, weil ich wenig verdiene –, und er will mich zweimal die Woche sehen.
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