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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Clegg
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den er nicht kannte, habe ihn in ein leeres Zimmer geschleust. Es ist jedes Mal jemand anders. Die erfundene Geschichte hört sich für ihn stets weniger beschämend an, weniger schräg, normaler, und sie macht mehr her. Aber so ist es nun mal nicht gewesen.
     
    In seinem Heimatort gibt es einen Anwalt, nennen wir ihn Fitz. Er ist ein dicker Fisch im kleinen Teich des Städtchens. Sein Haus ist groß, alt und in den Augen jener, die so etwas kümmert, wichtig. Er und seine Frau sind gesellig. Sie gehören dem Country Club an, fahren verbeulte alte Volvos und Mercedes, die Bean-Taschen, die sie überallhin begleiten, tragen ihr Monogramm. Alle kennen Fitz.
     
    Eines Spätnachmittags sieht er Fitz in New York. Fitz sieht ihn. Sie sind nicht weit von der kleinen Literaturagentur, in der er jetzt arbeitet, irgendwo in den East Fifties. Seiner Erinnerung nach ist es in der Buchhandlung im Citycorp-Gebäude, aber genau weiß er es nicht. Er ist jetzt 25 oder 26. Fitz grüßt ihn zuerst. Er ist in den Sechzigern, weit über eins achtzig groß, silbergrau und gut aussehend in der Art, wie ein Internatsdirektor gut aussieht. Fitz trägt ein gestreiftes Oxfordhemd mit hochgekrempelten Ärmeln und hat Leberflecke an den Händen und Unterarmen.
     
    Gehen wir doch zu mir was trinken
, schlägt Fitz vor. Und sie gehen. Bald sind sie zehn Blocks entfernt, in Fitz’ Wohnung. Beide trinken Wodka – er erzählt von seinen Kindern, eins im Mittelwesten, eins auf den Bermudas, und eins studiert in Washington noch Jura. Die Wohnung liegt in der Upper East Side, ein kleines Einzimmerapartment in einem alten Mietshaus. Sie riecht entfernt nach Mottenkugeln und ist ausstaffiert wie eine Studienberatungsstelle oder das Wartezimmer eines Zahnarztes. Die schlichte Sitzgarnitur ist unruhig blau und weinrot gemustert, die Vorhänge sind beige, und auf dem dunkelbraunen Couchtisch mit den angelaufenen Messingscharnieren stehen lauter Familienfotos.
     
    Nach ein paar Drinks unterhalten sie sich über Studium, Sex, Alkohol und Drogen, und plötzlich wird ihm mit reichlich Verspätung klar, dass Fitz ihn ungeachtet des wichtigen Hauses, seiner Kinder, seiner Frau und seiner Bean Bags anmacht. Er hat ihm auf dem Weg zur Küche, um neue Getränke zu holen, ein paarmal über den Nacken gestrichen, ist vom Sessel gegenüber zu ihm auf die Couch gekommen und hat ihm beim Plaudern mehrmals den Oberschenkel gedrückt.
     
    Jetzt erzählt ihm Fitz gerade, dass er hin und wieder gerne mal was raucht. Meistens Gras, gelegentlich aber auch etwas Stärkeres. Fitz fragt ihn, ob er schon mal »gebast« hat, und er sagt ohne Zögern ja. Es stimmt zwar nicht, aber er hat schon daran gedacht. Sich gefragt, wie es wäre, sich die Wirkung ausgemalt, aber es sah nicht so aus, als würde er je damit in Berührung kommen. »Basen« hieß Crack rauchen, und Crack war der Stoff knallharter Drogenrazzien, über die im Lokalteil der New York Times berichtet wurde, etwas, das er mit Sozialsiedlungen und Knästen verband. Die ganzen achtziger Jahre hindurch, in seiner Highschoolzeit, machte Crack Schlagzeilen als die Droge, die Stadtviertel verkommen lässt, die Kriminalität hochtreibt und unrettbar süchtig macht. Eine monströse, heimtückische Geißel, absolut tabu. Etwas, das ihn schon immer gereizt hat, das er schon immer mal probieren wollte.
     
    Bisher hat er nur einen Menschen gekannt, der Crack geraucht hat: Candy DiFiore. Er und Candy sind zusammen in dem Ort aufgewachsen, in dem auch Fitz lebt und arbeitet. Sie war vier Jahre älter und brachte sich ständig in Schwierigkeiten. Schließlich ging sie von der Highschool ab, und angeblich zog sie nach Albany, New York, lebte mit einem Schwarzen zusammen und wurde cracksüchtig. Candys Geschichte zogen die Eltern in unserer Gegend immer gern als warnendes Beispiel dafür heran: Was Passiert, Wenn Man Drogen Nimmt.
     
    Viele Jahre nach dem Abend mit Fitz wird er sich an Mrs. Parsons erinnern, seine Klavierlehrerin, als er zwölf war. Eine untersetzte Irin, die mindestens acht Kinder hatte, die rauchte, trank und tratschte und mitsamt diesen acht Kindern in einem grünen Häuschen am Sumpfrand wohnte. Es sah aus wie ein Hexenhaus und hing irgendwie schief in den angrenzenden Berg hinein. Eines Tages kam er zu seiner Stunde, und es zeigte sich sofort, dass er nicht geübt hatte. Wieder nicht. Sie ließ ihn ein wenig an einer simplen Etude herumbosseln, dann packte sie ihn bei den Händen und sagte, er solle

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