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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Clegg
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Connecticut, wieder in der Stadt bin. Ich habe einen Escort bestellt, nennen wir ihn Carlos. Carlos ist ein dunkelhäutiger Brasilianer um die Vierzig, und er war schon einmal hier, am Abend, als ich hergekommen bin. Er ist still, athletisch und ein paar Zentimeter größer als ich. Er kostet vierhundert Dollar die Stunde. Ich weiß, dass er tagsüber arbeitet, auf der Abendschule irgendeinen kaufmännischen Abschluss macht und aus Sao Paulo stammt. Er ist auf dem Weg. Da Happy gerade hier war, habe ich reichlich Crack. Mein Telefon klingelt, und an der Nummer auf dem Display sehe ich, dass es Noah ist. Er muss aus Berlin zurück sein. Ohne nachzudenken, überwältigt von dem plötzlichen Bedürfnis, seine Stimme zu hören, nehme ich ab. Er spricht sanft, und zu guter Letzt sage ich ihm, wo ich bin und dass er für ein paar Minuten raufkommen kann. Ich habe keine Ahnung, was daraus wird, aber mein Bedürfnis, ihn zu sehen ist stärker als die Angst, am Kragen gepackt und nach Hause geschleift zu werden. Innerhalb von Minuten ist er an der Tür. Ich sehe ihn mir durchs Guckloch an, aber sein Bild ist verzerrt, und ich erkenne ihn nur an den Kleidern. Erst nachdem ich ihn eine Weile beobachtet habe, mache ich auf. Als ich ihn hereinlasse, fällt mir auf, dass er noch nie so viel Bart hatte und dass er dünn aussieht. Ich möchte mich ihm an den Hals werfen, bin aber vorsichtig und halte mich zurück. Auch er zögert, und wir umkreisen uns argwöhnisch. Die Drogen, meine Brieftasche und meinen Pass habe ich im Bad unter einem Stapel Handtücher versteckt für den Fall, dass er sie mir abzunehmen versucht. Er steckt sich eine Zigarette an, und selbst hier, selbst jetzt ziehe ich ein Gesicht und sage:
Muss das sein?
Er ignoriert das und redet von Abmelden, Mitkommen und Entzug machen. Ich werde wütend und sage ihm, dass ich zwar abreisen, aber nicht mit ihm mitkommen werde. Dass ich woanders untertauche und, wenn er das nächste Mal anruft, nicht mehr abnehme. So vergehen ungefähr zwanzig Minuten, und mir geht zweierlei durch den Kopf: 1. Ich habe kurz vor Noahs Erscheinen die letzte Pfeife geraucht und brauche wieder eine, und 2. Carlos wird jeden Augenblick hier sein. Ich sage Noah, dass er gehen muss – entweder er, oder ich. Er sagt, er geht nicht, worauf ich mir mit viel Trara die Schuhe anziehe und die Jacke schnappe, als wollte ich wirklich raus, und er mir sagt, ich solle aufhören. Die Zeit läuft, mein Rausch von vorhin ist längst vorbei, und es zieht mich in einen furchtbaren Angstzustand. Ich sage Noah, er kann noch ein paar Minuten bleiben, aber ich muss was rauchen. Wenn er das nicht haben kann, soll er gehen. Er sagt:
Rauch du nur
. Ich gehe ins Bad, schließe die Tür und ziehe Pfeife und Crack unter den Handtüchern hervor. Ich mache die Pfeife fertig, ehe ich rausgehe, und stecke mir das übrige Crack in die Jeanstasche. Wieder draußen, setze ich mich auf die Bettkante und sage:
Meinst du wirklich, du kommst damit zurecht?
Er sagt ja. Ich sehe Noah ins Gesicht, während ich die Pfeife anzünde und so viel Rauch einziehe, wie ich nur kann. Beim Ausatmen sehe ich zwar seine grimmige Miene, weiß aber nicht, was in ihm vorgeht. Der Rausch, der durch mich hindurchfährt, fegt seine Gefühle und jede normale Reaktion, die sie bei mir auslösen könnten, beiseite. Ich betrachte ihn, wie man von einem abfahrenden Zug aus einen Unbekannten auf dem Bahnsteig betrachtet. Neugierig, durch Blickkontakt flüchtig verbunden, im Grunde aber gleichgültig. Noah entschwindet meinem Blick, und ich sage ihm, dass Carlos kommt. Statt, wie ich erwarte, in die Luft zu gehen, sagt er:
Gut. Ich bleibe. Wenn du ihn nicht anrufst und ihm absagst, bleibe ich. Keine Sorge, das macht mir nichts
. Ich höre seine Worte wie vom anderen Ende einer Lichtung oder durch eine dicke Glasscheibe und sage, weil es sich so anfühlt:
Gut
.
     
    Carlos trifft ein. Er sieht Noah an, wendet sich an mich und fragt:
Bleibt er?
Ich sage:
Ja. Erst mal.
Sie mustern einander, und Carlos setzt sich aufs Bett. Ich rauche einen Zug. Noah setzt sich in einen Sessel am verhangenen Fenster. Ich rauche noch einen Zug. Noah ist still. Carlos bedeutet mir, mich zu ihm aufs Bett zu setzen, und das tue ich mit Pfeife, Tüte und Feuerzeug in der Hand. Ich gieße mir noch einen Wodka ein und frage Carlos, ob er irgendetwas möchte. Er möchte Bier, also hole ich eins aus der Minibar, mache es auf und gebe es ihm. Er trinkt einen großen Schluck und zieht sein

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